Vergangene Zukunft
wählen und warum?« Miß Robbins stellte dieses Thema in jedem Semester. Es war ein gutes Thema, denn es weckte zugleich auch den Sinn für Geschichte. Es zwang die Kinder, über die Sitten und Gebräuche vergangener Zeitalter nachzudenken.
Richard begann mit leiser Stimme zu lesen.
»Wenn ich mir ein altertümliches Fahrzeug aussuchen könnte, würde ich ein Großverkehrsflugzeug wählen. Es bewegt sich zwar sehr langsam, aber es ist sauber. Weil es durch die Stratosphäre fliegt, muß es völlig abgeschlossen sein, und deshalb kann man von keiner Krankheit angesteckt werden. Nachts kann man die Sterne fast so gut wie in einem Planetarium sehen. Wenn man nach unten blickt, kann man die Erde wie eine Landkarte sehen. Manchmal sieht man auch Wolken …« Er las noch etwa hundert Wörter weiter.
Als er geendet hatte, sagte Miß Robbins freundlich: »Man sagt ›vee-ick-ulls‹, Richard. Kein ›h‹. Der Akzent hegt auf der ersten Silbe. Und du darfst nicht sagen ›travels slow‹ und ›see good‹. Wie sagt man richtig?« Sie wandte sich an die Klasse.
Ein kleiner Chor von Antworten erklang, und sie fuhr fort: »Richtig. Was ist also der Unterschied zwischen einem Adjektiv und einem Adverb? Wer kann es mir sagen?«
Der Unterricht lief weiter. Zur Mittagspause gingen manche Kinder nach Hause, manche aßen in der Schule. Auch Richard blieb in der Schule. Das fiel Miß Robbins auf, weil er das normalerweise nicht tat.
Der Nachmittag verstrich, und als die Glocke den Schulschluß anzeigte, schrien und lachten die Kinder wie üblich durcheinander, fünfundzwanzig Jungen und Mädchen kramten ihre Sachen zusammen und nahmen gemächlich Aufstellung.
Miß Robbins schlug die Hände zusammen.
»Schnell, Kinder! Zelda, geh auf deinen Platz!«
»Mir ist eine Filmspule heruntergefallen«, jammerte das Mädchen.
»Dann heb sie auf. Nun, Kinder, rasch, rasch!«
Sie drückte auf einen Knopf, und eine Wand des Klassenzimmers glitt zurück. Ein großes graues Tor erschien. Es war kein gewöhnliches Tor, wie es gewöhnliche Schüler benutzen, wenn sie zur Mittagspause nach Hause gingen. Nein, dieses Tor war ein hochmodernes Modell und der Stolz dieser teuren Privatschule.
Zusätzlich zu seiner doppelten Breite besaß das Tor einen automatischen Nummernsucher, der es möglich machte, daß man in automatischen Intervallen auf verschiedene Hausnummern einstellen konnte.
Zu Beginn des Semesters hatte Miß Robbins fast einen ganzen Nachmittag damit verbracht, die Mechanik mit den Hausnummern der neuen Schüler zu füttern. Aber danach mußte man sich, Gott sei Dank, nicht mehr darum kümmern. Alles lief wie am Schnürchen.
Die Klasse stellte sich in alphabetischer Reihenfolge auf, zuerst die Mädchen, dann die Jungen. Das Tor wurde samtig schwarz, und Hester Adams winkte und ging hindurch.
»Wiederse…«
Das Wort wurde in der Mitte abgeschnitten, wie immer. Das Tor wurde wieder grau, dann schwarz, und Theresa Cantrocchi verschwand. Grau, schwarz, Zelda Charlowicz. Grau, schwarz, Patricia Coombs. Grau, schwarz, Sara May Evans.
Die Schlange wurde kleiner, als das Tor ein Kind nach dem anderen verschluckte und nach Hause transportierte. Natürlich passierte es manchmal, daß die Eltern vergessen hatten, ihr Tor auf Empfang einzustellen, und dann blieb das Schultor grau. Nach einer Minute ging es zur nächsten Hausnummer über, und der betreffende Schüler mußte warten, bis alle Kinder transportiert worden waren. Danach brachte ein Visiphonanruf bei den vergeßlichen Eltern die Sache in Ordnung. Es war natürlich nicht sehr angenehm für einen Schüler, wenn ihm das passierte, und besonders die sensiblen Kinder litten sehr unter der Vorstellung, daß man sich zu Hause recht wenig Gedanken um sie machte. Miß Robbins führte den Eltern immer wieder eindringlich die möglichen schädlichen Folgen für die kindliche Seele vor Augen, aber es passierte trotzdem in jedem Semester mindestens einmal.
Die Mädchen waren schon alle verschwunden. John Abramowitz trat durch das Tor, dann Edwin Byrne …
Natürlich bereitete es auch Schwierigkeiten, wenn ein Junge oder Mädchen die Reihenfolge durcheinanderbrachte. Sie taten es immer wieder, obwohl die Lehrerin scharf aufpaßte, besonders zu Beginn des Semesters, wenn sie sich noch nicht so an die strenge Schulordnung gewöhnt hatten.
Wenn das passierte, dann wurden die Kinder in falsche Häuser gebracht und mußten zurückgesandt werden. Es dauerte meist mehrere Minuten, bis das
Weitere Kostenlose Bücher