Vergangene Zukunft
an.
»Billigen Sie denn seine Handlungsweise?«
Mrs. Hanshaw war blaß geworden. Aber sie richtete sich gerade auf und war entschlossen, die Lehrerin in ihre Schranken zu weisen.
»Ich glaube nicht, daß es Ihnen zusteht, Richard zu kritisieren. Wenn mein Sohn das Klassentor nicht benutzen will, so ist das seine und meine Sache. Es gibt doch wohl kein Schulgesetz, das ihn zwingt, durch das Klassentor die Schule zu verlassen, oder?« Ihre Haltung drückte deutlich aus, daß sie sich dafür einsetzen wollte, ein solches Gesetz abzuschaffen, falls es tatsächlich existieren sollte.
Miß Robbins errötete und fand gerade noch Zeit, eine Bemerkung anzubringen, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.
»Ich würde ihn schnellstens psychiatrisch untersuchen lassen.«
Mrs. Hanshaw stand vor der Quarzplatte und starrte blicklos auf die blanke Fläche. Ihr Familiensinn ließ sie wenigstens ein paar Augenblicke lang auf Richards Seite treten. Warum mußte er denn das Klassentor benutzen, wenn er nicht wollte? Dann setzte sie sich auf einen Stuhl und wartete. Ihr Stolz kämpfte mit der quälenden Angst, daß vielleicht wirklich mit Richard etwas nicht stimmte.
Mit trotzigem Gesicht kam er nach Hause, aber mit mühsam erzwungener Selbstbeherrschung begegnete ihm seine Mutter, als sei nichts passiert.
Diese Politik verfolgte sie einige Wochen lang. Es ist nichts, sagte sie sich immer wieder. Nur eine seltsame Laune. Er wird bald genug davon haben.
Langsam wurde eine ganz normale Gewohnheit daraus. Doch eines Tages, als sie nach dem Frühstück herunterkam, sah sie Richard mürrisch vor dem Tor warten. Er benutzte es auch, als er von der Schule heimkehrte. Das tat er an drei aufeinanderfolgenden Tagen. Sie enthielt sich jedes Kommentars.
Jedesmal, wenn er durch das Tor verschwand oder wenn er aus seiner schwarzen Finsternis ins Haus trat, wurde ihr warm ums Herz, und sie dachte: Jetzt ist es vorbei. Aber als die drei Tage vorbei waren, schlüpfte Richard wieder durch die kleine handbetriebene Tür, wie ein Süchtiger, der auf seine Drogen nicht verzichten konnte. Immerhin, er gewöhnte sich an, zwei- bis dreimal pro Woche das Tor zu benutzen.
Verzweifelt dachte sie an einen Psychiater, aber immer wieder stand ihr Miß Robbins’ triumphierendes Gesicht vor Augen, und das hielt sie davon ab, einen Psychiater aufzusuchen. Obwohl sie sich kaum bewußt war, daß dies der wahre Grund ihres Zögerns war.
Sie versuchte, das Beste aus Richards seltsamer Angewohnheit zu machen. Der Mechano wurde instruiert, mit einem Wascheimer und frischen Kleidern an der kleinen handbetriebenen Tür zu warten, und Richard wusch sich und wechselte widerspruchslos seine Kleider. Seine Unterwäsche, Socken und Schmutzabweiser waren ohnehin wegwerfbar, und ohne zu klagen nahm Mrs. Hanshaw es auf sich, die Mehrkosten der täglich erneuerten Hemden zu tragen. Schließlich entschloß sie sich, daß er wenigstens seine Hosen eine Woche lang tragen sollte, bevor auch sie weggeworfen wurden.
Eines Tages beschloß sie, daß Richard sie auf einem Ausflug nach New York begleiten sollte. Sie verfolgte damit keine bestimmte Absicht, sondern verspürte lediglich den vagen Wunsch, ihn einmal längere Zeit unter Aufsicht zu haben. Richard hatte nichts dagegen einzuwenden. Er freute sich sogar. Widerstandslos und ohne zu zögern trat er durch das Tor. Sein Gesicht zeigte nicht einmal das Mißbehagen, das er an den Tagen zur Schau getragen hatte, als er anscheinend gegen seinen Willen das Tor zum Schulgang benutzt hatte.
Mrs. Hanshaw war glücklich. Das war vielleicht ein Weg, ihn wieder an den Gebrauch des Tores zu gewöhnen. Immer öfter unternahm sie Ausflüge mit ihm und zerbrach sich den Kopf über immer neue, vergnügliche Reiseziele. Einmal nahm sie sogar außerordentlich hohe Kosten auf sich, um mit Richard einen Tag lang ein chinesisches Fest in Kanton zu besuchen.
Das war an einem Sonntag, und am nächsten Morgen marschierte Richard geradewegs auf die handbetriebene Tür zu, wie er es immer tat. Mrs. Hanshaw, die zeitiger als sonst aufgestanden war, beobachtete ihn. Sie konnte es nicht mehr ertragen.
»Warum benutzt du denn nicht das Tor, Dickie?« rief sie ihm verzweifelt nach.
Er wandte sich kurz um.
»Für Kanton ist das Tor ganz gut«, sagte er und stapfte aus dem Haus.
So war also alle ihre Mühe umsonst gewesen.
Und dann kam Richard eines Tages tropfnaß nach Hause. Der Mechano umkreiste ihn unsicher, und Mrs. Hanshaw, die gerade von einem
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