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Vergeben, nicht vergessen

Titel: Vergeben, nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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gibt jede Menge Rosatöne und etwas Grau und sogar etwas Orange.«
    Das Schloss bewegte sich. Langsam öffnete sich die Tür. Sie stand in seinem Unterhemd da, das bis zu den kleinen Füßen reichte und ihr fast von den Schultern glitt.
    »Hallo«, sagte er einfach, ohne sich zu bewegen. »Möchtest du jetzt ein paar Cornflakes?«
    Sie nickte.
    »Kannst du mir aufhelfen?« Er streckte ihr seine Hand entgegen.
    Er sah die Angst, die wilde Panik in ihrem Blick. Sie betrachtete seine Hände, als ob sie eine Schlange wären, die gleich zubeißen wollte. Sie flitzte an ihm vorbei und rannte in die Küche. Es war also noch zu früh für sie, um ihm zu vertrauen. »Die Milch steht auf dem Tisch«, rief er ihr hinterher. »Kommst du da heran?«
    Bedächtig ging er in die Küche. Sie saß, an die Wand gepresst, in einer Ecke und hielt die Schüssel mit den Corn-flakes gegen die Brust gepresst. Ihr Gesicht war fast eingetaucht in die Schüssel, und dicke, dunkelbraune Haarsträhnen verdeckten ihr Gesicht.
    Er schwieg und schenkte sich etwas Kaffee nach. Dann steckte er zwei Scheiben Weizenbrot in den Handtoaster und hielt ihn über das Holzkohlefeuer. Jede Seite des Toastes brauchte nur zwei Minuten zum Bräunen. Er setzte sich auf einen der Küchenstühle. Der andere stand immer noch unter den Türgriff geklemmt.
    In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er sie nicht irgendwelchen Fremden überlassen würde. Sie war jetzt in seiner Verantwortung, und er war bereit, diese Verantwortung zu übernehmen. Er wollte sich gar nicht erst vorstellen, was sie mit ihr im Krankenhaus alles anstellen würden: Ärzte, Schwestern, Laboranten. Und alle würden an ihr zerren, sie erschrecken, Psychologen würden ihr Puppen vorlegen und sie fragen, was denn der Mann genau getan habe. Sie würden sie wie andere kleine verletzte Mädchen behandeln, obwohl ihr Fall doch außergewöhnlich war. Nein, das konnte er ihr nicht antun. Später würde sich die Polizei einschalten. Natürlich würde er mit der Polizei reden, nur jetzt noch nicht. Sie sollte sich erst etwas beruhigen. Sie sollte ihm vertrauen, ein klein wenig zumindest.
    »Möchtest du eine Scheibe Toast? Mittlerweile kann ich mit diesem Toasthalter richtig gut umgehen und verbrenne kaum mehr eine Scheibe.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Also gut, dann esse ich beide Toasts. Aber wenn du es dir anders überlegst - ich habe tolle Erdbeermarmelade, die hier in Dillinger von Frau Harper hergestellt wurde. Sie hat ihre gesamten vierundsechzig Jahre in diesem Ort verbracht.
    Ich bin jetzt schon fast zwei Wochen hier. Ich komme aus San Francisco. Dieses Holzhaus hat der Großvater einer meiner Freunde gebaut. Er hat es mir geliehen. Ich bin zum ersten Mal hier. Es ist ein schöner Ort. Vielleicht willst du mir ja später erzählen, wo du herkommst. Ich wollte ganz allein sein, alles und jeden hinter mir lassen. Weißt du, was ich meine? Nein, ich glaube das verstehst du nicht, oder?
    Wer hat gesagt, dass das Leben nicht so einfach ist? Vielleicht war ich das und habe es vergessen. So viele Dinge können geschehen, wenn du erwachsen bist, aber dann ist man eher in der Lage, sie zu meistern. Du aber bist ein kleines Mädchen. Nichts Böses sollte dir zustoßen. Ich werde die Dinge so gut ich kann wieder gutmachen.
    Aber weißt du«, fuhr er behutsam fort, musterte die Streifen an ihren Hand- und Fußgelenken, dachte an ihren kleinen, geschundenen Körper, wissend, dass sie vergewaltigt worden war. »Ich glaube, wir sollten einen Arzt aufsuchen. Vielleicht in ein, zwei Tagen. Und dann sollten wir auch zur Polizei gehen. Hoffentlich gibt es in Dillinger einen Polizisten.«
    Das Wimmern setzte ein. Sie stellte die leere Schüssel neben sich auf den Boden und sah angsterfüllt zu ihm auf. Sie schüttelte unablässig den Kopf, während das Wimmern hässlich und rau tief aus ihrer Kehle drang.
    Eine Gänsehaut überzog ihn. »Du möchtest nicht zum Arzt?«
    Sie drückte sich gegen die Wand, zog die Beine an und wickelte das Unterhemd wie ein weißes Zelt um sich. Ihren Kopf presste sie auf die Knie, und sie schaukelte vor und zurück.
    »Also gut, wir gehen nirgendwo hin. Wir bleiben einfach hier, ganz sicher und gemütlich. Ich habe jede Menge zu essen. Habe ich dir erzählt, dass ich erst vor zwei Tagen in Dillinger war? Ich habe ein paar Sachen geholt, die sogar einem Kind gefallen könnten. Ich habe Hot Dogs und ein paar von diesen Brötchen, die nach gar nichts schmecken, französischen Senf und

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