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Vergeben, nicht vergessen

Titel: Vergeben, nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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es nicht zulassen würde, dass jemand ihr noch einmal weh tat. Er redete weiter und weiter, bis er spürte, wie sie sich entspannte. Schließlich hörte er ihr tiefes Seufzen, und dann, Wunder aller Wunder, schlief sie wieder ein.
    Es war früher Nachmittag. Allmählich wurde er hungrig, aber das konnte warten. Er wollte sie nicht stören. Sie hatte sich an ihn gekuschelt, ihr Kopf lag fast in seiner Armbeuge. Er schob ihn ein wenig zur Seite, dann nahm er sein Buch zur Hand. Sie wimmerte leise im Schlaf. Er drückte sie an sich. Sie roch süß, diese einzigartige kindliche Süße. Mit zornigem Blick sagte er in Richtung des Fensters: »Wenn du dich hier auch nur in die Nähe traust, du Mistkerl, jage ich dir eine Kugel durch den Kopf.«

3
    Der morgendliche Regen, von einem böigen Westwind getrieben, peitschte gegen die Fenster der Hütte. Ramsey saß neben ihr auf dem Sofa. Er hielt einen der zahlreichen mitgebrachten Romane in der Hand und las ihr leise vor, wie er es bereits die vergangenen drei Tage über getan hatte. Sie fing an, sich in seiner Gegenwart wohler zu fühlen, und zuckte nicht mehr zurück, wenn er sie versehentlich erschreckte.
    Gute dreißig Zentimeter Abstand waren jedoch zwischen ihnen. Seine Stimme beim Vorlesen klang ruhig und tief. Er sagte: »>Herr Phipps wusste nicht, was er tun sollte. Er konnte zu seiner Frau zurückkehren und die Probleme mit ihr ausfechten, oder aber er konnte aufgeben und sie all jenen Männern überlassen, die sie begehrten, all jenen reichen Männern, die ihr geben konnten, was sie wollte. Andererseits jedoch hatte er in seinem Leben noch niemals leicht aufgegeben.<« Er hielt inne. Beim flüchtigen Durchblättern konnte er erkennen, dass die nächsten Seiten nicht für ihre Ohren bestimmt waren. Er hätte dieses Buch gar nicht erst anfangen sollen. Er räusperte sich.
    Seine Worte verschwammen, als er ruhig fortfuhr und so tat, als ob er immer noch vorlese. »Aber dann wurde ihm klar, dass er noch eine andere Wahlmöglichkeit besaß. Seine kleine Tochter wartete zu Hause auf ihn. Er liebte sie mehr als alles auf der Welt. Er liebte seine kleine Tochter sogar mehr, als er jemals irgendetwas oder irgendjemanden in seinem Leben geliebt hatte.«
    Schweigend saß sie neben ihm. Der Abstand zwischen ihnen hatte sich nicht verringert. Er hatte keine Ahnung, ob sie ihm zuhörte. Immerhin war sie gut durchgewärmt. Sie trug eines seiner Unterhemden, ein graues mit einem V-Ausschnitt, darüber eine Jacke, die fast den Boden berührte, und die Decke hatte sie bis zum Kinn hochgezogen, um sich gegen die Kühle des Dauerregens und des Windes zu schützen. Im Zöpfeflechten wurde er allmählich besser. Wenn sie nicht so still wäre und ab und zu etwas lächeln würde, hätte man sie für irgendein Kind halten können, das neben seinem Vater saß, der ihm eine Geschichte vorlas.
    Aber sie war nicht irgendein Kind. Langsam lenkte er den Blick auf das Buch zurück. Mit einem plötzlich eindeutigen, klaren Gefühl sagte er: »Und er wollte sie beschützen und lieben, solange er lebte. Sie war süß und freundlich, und er wusste, dass sie ihn liebte. Aber sie hatte Angst. Das wiederum konnte er gut verstehen. Sie hatte so viel durchgemacht, mehr als kleine Mädchen durchmachen sollten. Doch sie hatte es überlebt. Sie war das tapferste Mädchen, das er kannte. Ja, sie hatte es überlebt. Und jetzt war sie bei ihm.
    Er dachte an eine kleine Berghütte in den Rockies, mit einer Wiese voller leuchtender, blühender Akelei und scharlachroter Kastilea. Er wusste, dass es ihr dort gefallen würde. Sie war befreit worden, und er würde sie wieder lachen hören. Es war schon lange her, seit er sie lachen gehört hatte. Er ging ins Haus und sah sie mit einem Spielzeugaffen in der Küchentür stehen. Sie lächelte ihn an und streckte ihm ihre Arme entgegen.«
    Er drehte sich zu ihr und berührte langsam und nur sehr zaghaft ihr Ohr. »Besitzt du ein Spielzeugtier?«
    Sie sah ihn nicht an, sondern starrte weiterhin aus dem Fenster in den grauen Regen, der anscheinend nie mehr enden wollte. Dann nickte sie.
    »Ist es ein Affe?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ein Hund?«
    Sie drehte sich mit Tränen in den Augen zu ihm und nickte.
    »Ist schon gut. Aber er ist gar nicht ausgestopft, nicht wahr? Ist es ein richtiger Hund? Ich verspreche dir, dass du schon bald wieder bei deinem Hund sein wirst. Was für ein Hund ist es denn?«
    Diesmal griff sie nach dem Stift und dem Papier, die er am letzten

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