Vergeben, nicht vergessen
inmitten seines kostbar eingerichteten Büros im neunzehnten Stockwerk des McCord-Gebäudes auf der Michigan Avenue und machte den Eindruck, als ob er gleich aus dem Fenster springen wollte.
»Ja, Sir«, sagte er schließlich. »Ich wollte eigentlich sofort nach dem Vorfall anrufen, aber es war ein solcher Schock, wissen Sie. Bis heute Morgen konnte ich mich einfach nicht dazu aufraffen. Louey ist tot, von einer Autobombe zerfetzt. Es scheint mir einfach vollkommen unmöglich. Wie ich höre, haben Sie einer polizeilichen Untersuchung zugestimmt?«
Ramsey verspürte so etwas wie Überraschung. Glaubte O’Dell etwa, dass Mason Lord sich wie ein Gott vollkommener Immunität erfreute?
»Es handelt sich um Mord, Warren. Ich bin ein rechtschaffener Bürger«, sagte Mason mit ernster Stimme, als ob er auf die Einschaltung der Polizei bestanden hätte. Er blickte Ramsey an. »Richter Hunt war es, der Mollys Tochter gerettet hat.«
»Ach, jetzt verstehe ich. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, weswegen er mit dabei ist, wenn Sie mich aufsuchen. Loueys Tod ist einfach ein Schock. Er hat mich schwer mitgenommen. Ich war so aufgewühlt, dass ich meiner Sekretärin heute frei gegeben habe.«
»Wie ich sehe, stehen ein paar Kartons hinter Ihrem Schreibtisch, Warren. Ich nehme nicht an, dass Sie gewisse Dokumente zerstören wollten? Vielleicht als Vorbereitung für einen besonders ausgedehnten, schönen Urlaub?«
»Aber nicht doch, Sir. Ich habe nur etwas aufgeräumt, das ist alles.«
»Ich werde sicherstellen, dass Sie jedwede Unterstützung bekommen, die Sie brauchen«, meinte Mason.
»Danke, Sir, aber das ist wirklich nicht nötig.«
Mason Lord hob kaum merklich die Stimme. »Günther.«
Der stämmige Mann im Türrahmen blickte Warren O’Dell direkt an. Als ob O’Dell nichts weiter als ein kleines Insekt wäre, dachte Ramsey.
»Ja, Herr Lord?«
»Sie müssen Herrn O’Dell etwas behilflich sein. Sehen Sie die Kartons hinter dem eindrucksvollen Mahagonischreibtisch? Wir nehmen sie mit und sehen sie uns einmal an. Ramsey, vielleicht könnten Sie so freundlich sein und Herrn O’Dells Aktenschränke durchsehen.«
»Vorher habe ich erst noch ein paar Fragen«, erwiderte Ramsey.
»Bitte, Herr Lord, da ist wirklich nichts ...«
Mason Lord hob die Hand. Abrupt verstummte O’Dell. »Richter Hunt möchte Ihnen ein paar Fragen stellen, Warren. Sie werden sie vollständig und wahrheitsgemäß beantworten.«
Warren O’Dells Glatze glänzte vor Schweiß. Er beobachtete, wie Gunther die Kartons nach draußen trug, und benetzte sich die Lippen. »Jawohl, Sir.«
Ramsey hatte ein sehr merkwürdiges Gefühl. Hier stand er zusammen mit einem ausgesprochen einflussreichen kriminellen Gangsterboss, dessentwegen sich ein potenzieller Zeuge fast in die Hosen machte. Und er, Ramsey, seines Zeichens Bundesanwalt, war Teil eines Vorgangs, der vermutlich als Erpressung, zumindest aber als Nötigung ausgelegt werden würde. Aber egal. »Herr O’Dell, erläutern Sie mir Herrn Santeras Finanzen.«
Warren O’Dell schluckte. Wieder blickte er auf Günther, der zurück ins Büro trat. Sein Schulterhalfter mit der Pistole war durch den offenen Mantel hindurch deutlich zu erkennen.
»Louey war pleite«, sagte er schließlich. »Ganz und gar pleite. Die Tour hat er gemacht, um damit seine Schulden ab-zubezahlen. Aber jetzt, wo er seinen Vertrag gebrochen hat, hättet er keinen müden Pfennig bekommen.«
»Louey war pleite?«, wiederholte Ramsey. »Hatte er hohe Schulden?«
»Louey hat immer schon gerne Geld ausgegeben. Und dann hat er sich richtige Schulden aufgebürdet. Es gibt da dieses kleine Konsortium in Las Vegas. Meiner Ansicht nach haben sie es so gedreht, dass Louey beim Spiel sehr hoch verliert. Und genau das ist dann auch geschehen. Er war ein miserabler Spieler, was er aber nicht zugeben wollte. Er hielt sich für in praktisch jeder Hinsicht den Allergrößten. Wirklich in jeder Hinsicht. Er schuldete ihnen annähernd eine Million Dollar. Sie haben ihn weiter spielen lassen, und er konnte noch nicht einmal damit beginnen, seine Schulden zurückzuzahlen. Und dann haben sie dauernd weiter Zinsen aufgeschlagen. Und sie drohten ihm. Ihm selbst, Ihrer Tochter, Sir, und Ihrer Enkelin.«
»Namen, bitte, O’Dell«, sagte Ramsey. »Erst die Namen, dann die Unterlagen.«
Mason Lord stand auf und ging zu der kleinen Bar hinüber, ein Glaskasten auf Rädern mit drei in Gold eingefassten Ebenen. Er nahm die Brandykaraffe und
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