Vergebung
»Bjurman hatte seinem Schützling etwas angetan.«
Mikael nickte.
»Soll ich weiterraten, dass er sie in irgendeiner Form sexuell belästigt hat?«
Mikael zuckte die Achseln und enthielt sich jedes weiteren Kommentars.
»Sie wissen also nichts von dem Tattoo auf Bjurmans Bauch?«
»Tattoo?«
»Eine amateurhaft durchgeführte Tätowierung quer über den ganzen Bauch mit folgendem Text: Ich bin ein sadistisches Schwein, ein Widerling und ein Vergewaltiger. Wir haben uns die Köpfe darüber zerbrochen, worum es da eigentlich ging.«
Plötzlich musste Mikael schallend auflachen.
»Was ist denn?«
»Ich hab nachgedacht, was Lisbeth wohl getan hat, um sich zu rächen. Aber wissen Sie … das möchte ich nicht mit Ihnen diskutieren, aus demselben Grund wie vorher. Das hier berührt ihre Privatsphäre. Lisbeth ist Opfer eines Verbrechens geworden. Sie soll selbst entscheiden, was sie Ihnen erzählen will. Sorry.«
Er sah sie fast entschuldigend an.
»Gewaltverbrechen müssen zur Anzeige gebracht werden«, sagte Sonja Modig.
»Da stimme ich Ihnen zu. Aber dieses Gewaltverbrechen ist vor zwei Jahren geschehen, und Lisbeth hat immer noch nicht mit der Polizei über diese Sache geredet. Was den Schluss zulässt, dass sie es auch nicht vorhat. So wenig ich ihr in der Sache an sich zustimmen kann, so finde ich doch, dass sie diejenige sein sollte, die hier entscheidet. Außerdem …«
»Ja?«
»Sie hat nicht viel Veranlassung, sich der Polizei anzuvertrauen. Das letzte Mal, als sie erklären wollte, was für ein Schwein Zalatschenko ist, wurde sie in die Psychiatrie gesperrt.«
Der Leiter der Voruntersuchung, Richard Ekström, hatte ein mulmiges Gefühl, als er um kurz vor neun am Freitagmorgen den Ermittlungsleiter Jan Bublanski bat, ihm gegenüber am Schreibtisch Platz zu nehmen. Ekström rückte sich die Brille zurecht und strich sich über den gepflegten Kinnbart. Er erlebte die Situation als chaotisch und bedrohlich. Seit einem Monat war er der Leiter der Voruntersuchung und jagte Lisbeth Salander. Er hatte sie immer wieder als geisteskranke und gemeingefährliche Psychopathin dargestellt. Er hatte Informationen nach außen durchsickern lassen, die ihm bei einer nachfolgenden Gerichtsverhandlung zugutegekommen wären. Alles hatte so gut ausgesehen.
In seiner Vorstellung hatte es nicht den geringsten Zweifel gegeben, dass Lisbeth Salander wirklich des dreifachen Mordes schuldig war und dass er den Prozess mühelos gewinnen würde - eine reine Propagandaveranstaltung mit ihm in der Hauptrolle. Doch dann war alles schiefgelaufen, und plötzlich saß er mit einem ganz anderen Mörder und einem Chaos da, dessen Ende nicht abzusehen war. Diese verfluchte Salander .
»Tja, da sind wir ja in einen ganz schönen Schlamassel geraten«, stellte Eckström fest. »Was haben Sie heute Morgen denn herausgekriegt?«
»Ronald Niedermann ist landesweit zur Fahndung ausgeschrieben worden, aber er ist immer noch auf freiem Fuß. Im Moment wird er nur wegen des Mordes an dem Polizisten Gunnar Andersson gesucht, aber ich nehme an, dass er auch die drei Morde hier in Stockholm begangen hat. Vielleicht könnten Sie eine Pressekonferenz einberufen.«
Letzteren Vorschlag machte Bublanski nur, um Ekström zu ärgern. Denn der hasste nichts mehr als Pressekonferenzen.
»Ich glaube, mit der Pressekonferenz warten wir vorerst noch«, erwiderte Ekström hastig.
Bublanski bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken.
»Das ist ja auch in erster Linie eine Angelegenheit der Göteborger Polizei«, argumentierte Ekström.
»Na ja, Sonja Modig und Jerker Holmberg sind schon vor Ort in Göteborg und haben die Zusammenarbeit …«
»Wir warten mit der Pressekonferenz, bis wir mehr wissen«, entschied Ekström mit scharfem Ton. »Von Ihnen will ich wissen, wie sicher Sie sind, dass Niedermann wirklich für die Morde hier in Stockholm verantwortlich ist.«
»Als Polizist bin ich überzeugt davon. Aber die Beweislage ist noch lückenhaft. Wir haben weder Zeugen noch stichhaltige kriminaltechnische Beweise. Magge Lundin und Sonny Nieminen vom Svavelsjö MC weigern sich zu reden und tun so, als hätten sie noch nie von Niedermann gehört. Doch für den Mord an Gunnar Andersson wandert er auf jeden Fall ins Gefängnis.«
»Genau«, sagte Ekström. »Im Moment interessiert vor allem dieser Polizistenmord. Aber sagen Sie mal … gibt es Hinweise darauf, dass Salander trotzdem irgendwie in diese Morde verwickelt ist? Wäre es vorstellbar,
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