Vergebung
gehen. Wollen Sie, dass ich wiederkomme und Sie besuche?«
Lisbeth Salander überlegte einen Moment. Dann nickte sie kurz. Als er die Tür hinter sich zugezogen hatte, blickte sie nachdenklich an die Decke. Zalatschenko hatte Krücken bekommen. Das war also das Geräusch gewesen, das sie in der Nacht von Sonntag auf Montag gehört hatte.
Als Jüngster in der Gruppe wurde Jonas Sandberg losgeschickt, um das Mittagessen zu besorgen. Als er zurückkam, brachte er Sushi und alkoholfreies Bier mit. Gullberg empfand eine gewisse Nostalgie. So war es zu seiner Zeit auch gewesen, wenn eine Operation in ihre kritische Phase eintrat und rund um die Uhr gearbeitet wurde.
Der Unterschied, so stellte er fest, bestand vielleicht nur darin, dass zu seiner Zeit niemand auf die verrückte Idee gekommen wäre, rohen Fisch zum Mittagessen zu bestellen. Er wünschte, Sandberg hätte Fleischklößchen mit Kartoffelpüree und Preiselbeeren mitgebracht. Andererseits hatte er sowieso keinen richtigen Hunger. Er aß ein Stück Brot und trank Mineralwasser.
Sie setzten die Besprechung beim Essen fort.
»Ich habe Zalatschenko nie persönlich kennengelernt«, sagte Wadensjöö. »Wie war er denn so?«
»Genauso wie heute, schätze ich«, antwortete Gullberg. »Bestechend intelligent, mit einem fotografischen Gedächtnis für Details, aber einem widerlichen Charakter und einer Neigung zum Größenwahn, würde ich sagen.«
Sandberg legte sein Besteck hin.
»Er hat die Kontrolle. Ich habe ja schon von seinem Ultimatum erzählt. Entweder zaubern wir das Ganze vom Tisch, oder er lässt die Sektion hochgehen.«
»Wie zum Teufel sollen wir etwas ungeschehen machen, das in den Massenmedien schon derart breitgetreten worden ist?«, fragte Georg Nyström.
»Es geht hier nicht darum, was wir können und was nicht. Es geht um sein Bedürfnis, uns zu kontrollieren«, sagte Gullberg.
»Wie schätzt du die Lage ein? Glaubst du wirklich, dass er sich an die Medien wendet?«, wollte Wadensjöö wissen.
Gullberg antwortete zögerlich.
»Das ist schwer zu sagen. Wenn es ihm nützt, mit den Medien zu sprechen … wenn er eine Amnestie oder mildernde Umstände erwirken kann, dann wird er es machen. Oder wenn er sich betrogen fühlt und uns so richtig die Hölle heißmachen will.«
»Ohne Rücksicht auf die Folgen?«
»Aber völlig ohne Rücksicht auf die Folgen. Er will nur zeigen, dass er tougher ist als wir alle zusammen.«
»Doch selbst wenn Zalatschenko redet, ist noch nicht gesagt, dass man ihm auch glaubt. Um etwas zu beweisen, bräuchten sie unser Archiv. Er kennt diese Adresse hier nicht mal.«
»Willst du das Risiko wirklich eingehen? Angenommen, Zalatschenko redet wirklich. Wer redet dann als Nächstes? Was tun wir, wenn Björck seine Geschichte bestätigt? Und Clinton an seinem Dialyseapparat … was passiert, wenn er religiös wird und plötzlich seine Sünden beichten will? Glaub mir, wenn irgendjemand redet, dann ist es mit der Sektion zu Ende.«
»Also … was sollen wir tun?«
Am Tisch herrschte Schweigen. Gullberg nahm schließlich den Faden wieder auf.
»Das Problem hat mehrere Aspekte. Erstens können wir uns sicher sein, dass mehrere Angestellte der Sektion eine Gefängnisstrafe bekommen würden.«
»Unsere Tätigkeit ist juristisch abgesegnet, wir arbeiten faktisch im Auftrag der Regierung.«
»Red keinen Blödsinn«, schnitt Gullberg ihm das Wort ab. »Du weißt genauso gut wie ich, dass ein unklar formuliertes Papier, das Mitte der 60er-Jahre abgefasst wurde, heute keinen Pfifferling mehr wert ist. Ich würde sagen, dass keiner von uns so genau wissen will, was passiert, wenn Zalatschenko den Mund aufmacht«, fügte er hinzu.
»Also müssen wir erreichen, dass Zalatschenko weiter Stillschweigen bewahrt«, sagte Georg Nyström schließlich.
Gullberg nickte.
»Und wenn wir ihn dazu bringen wollen, Stillschweigen zu bewahren, müssen wir ihm ein substanzielles Angebot machen können. Das Hauptproblem ist seine Unberechenbarkeit. Es könnte genauso gut sein, dass er uns aus reiner Bosheit ans Messer liefern will. Wir müssen uns überlegen, wie wir ihn fürs Erste in Schach halten können.«
»In Schach halten?«, fragte Sandberg. »Er hat schließlich konkrete Forderungen gestellt.«
»Mit Salander kommen wir klar. Zalatschenko ist das Problem. Aber das führt uns zum nächsten Thema - die Schadensbegrenzung. Teleborians Gutachten von 1991 ist durchgesickert, und das ist potenziell eine genauso starke Bedrohung wie
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