Vergebung
angenommen.
Es war kein guter Plan, aber nachdem er alle Möglichkeiten in Betracht gezogen hatte, war ihm klar, dass dieses Problem eben drastische Maßnahmen erforderte.
Glücklicherweise war das Personal dafür vorhanden. Es war realisierbar.
Er stand auf, fand eine Telefonzelle und rief Wadensjöö an.
»Wir müssen unser Treffen noch ein bisschen aufschieben«, sagte er. »Ich muss noch was erledigen. Können wir uns um vierzehn-null-null wieder treffen?«
Danach ging er zum Stureplan hinunter und hielt ein Taxi an. Eigentlich konnte er sich einen solchen Luxus von seiner schmalen Beamtenpension nicht leisten, doch andererseits war er in einem Alter, in dem er keinen Grund mehr sah, sich Ausschweifungen zu verkneifen. Er gab eine Adresse in Bromma an.
Als ihn das Taxi schließlich an seinem Ziel abgesetzt hatte, ging er einen Block weiter in südliche Richtung und klingelte an der Tür eines kleineren Häuschens. Eine Frau um die 40 öffnete ihm.
»Guten Tag. Ich würde gerne Fredrik Clinton sprechen.«
»Wen soll ich melden?«
»Einen alten Kollegen.«
Die Frau nickte und führte ihn ins Wohnzimmer, wo Fredrik Clinton sich mühsam vom Sofa erhob. Er war erst 68, sah aber wesentlich älter aus. Diabetes und Herz-Kreislauf-Probleme hatten nur allzu deutliche Spuren hinterlassen.
»Gullberg«, sagte Clinton verblüfft.
Sie sahen sich eine ganze Weile an. Dann fielen sich die beiden alten Spione in die Arme.
»Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen«, sagte Clinton. »Ich schätze, diese Sache hat dich wieder hinterm Ofen hervorgelockt.«
Er zeigte auf die Titelseite der Abendzeitung. Neben einem Bild von Niedermann war zu lesen: »Jagd auf den Polizistenmörder in Dänemark«.
»Wie geht’s dir?«, erkundigte sich Gullberg.
»Ich bin krank«, erwiderte Clinton.
»Das sehe ich.«
»Wenn ich keine neue Niere bekomme, werde ich bald sterben. Und die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine bekomme, ist ziemlich gering.«
Gullberg nickte.
Die Frau kam ins Wohnzimmer und fragte, ob Gullberg einen Kaffee wolle.
»Ja, sehr gern«, erwiderte er. Nachdem sie verschwunden war, fragte er Clinton: »Wer ist das?«
»Meine Tochter.«
Gullberg nickte erneut. Es war schon erstaunlich, dass sie trotz der jahrelangen intimen Gemeinschaft in der Sektion niemals privaten Umgang miteinander gepflegt hatten. Gullberg kannte den kleinsten Charakterzug sämtlicher Mitarbeiter, ihre Stärken und Schwächen, aber er hatte nur eine vage Ahnung, wie ihre Familienverhältnisse aussahen. Clinton war zwanzig Jahre lang sein engster Mitarbeiter gewesen. Er wusste, dass Clinton verheiratet war und ein Kind hatte. Doch kannte er weder den Namen seiner Tochter noch seiner Frau und wusste auch nicht, wo Clinton immer seine Ferien verbrachte. Als wäre alles außerhalb der Sektion so heilig, dass man kein Wort darüber verlieren durfte.
»Was führt dich zu mir?«, fragte Clinton.
»Darf ich dich mal fragen, was du so von Wadensjöö hältst?«
Clinton schüttelte den Kopf.
»Da mische ich mich nicht ein.«
»Aber du kennst ihn doch. Er hat zehn Jahre mit dir zusammengearbeitet.«
Abermals schüttelte Clinton den Kopf.
»Er ist heute der Chef der Sektion. Was ich davon halte, ist uninteressant.«
»Ist er der Aufgabe gewachsen?«
»Er ist nicht dumm.«
»Aber …?«
»Ein Analytiker. Kann ein Mosaik zusammensetzen. Guter Instinkt. Großartiger Budgetverwalter, wir hätten es nie für möglich gehalten, dass man so wirtschaften könnte.«
Gullberg nickte. Das Wichtigste war die Eigenschaft, die Clinton nicht aussprach.
»Wärst du bereit, wieder in den Dienst zurückzukehren?« Clinton blickte zu Gullberg auf. Er zögerte eine geraume Weile.
»Evert … ich verbringe jeden zweiten Tag neun Stunden am Dialyseapparat im Krankenhaus. Wenn ich eine Treppe hochgehe, bin ich sofort völlig außer Atem. Ich hab keine Kraft mehr.«
»Ich brauche dich. Für eine letzte Operation.«
»Ich kann nicht.«
»Du kannst trotzdem jeden zweiten Tag neun Stunden am Dialyseapparat verbringen. Du kannst mit dem Fahrstuhl fahren, statt Treppen zu steigen. Wenn nötig, kann ich jemand organisieren, der dich auf einer Bahre hin- und zurückbringt. Ich brauche deinen Verstand.«
Clinton seufzte.
»Schieß los«, sagte er.
»Wir stehen gerade vor einer extrem komplizierten Situation, in der ein operativer Einsatz nötig ist. Wadensjöö hat so einen Grünschnabel eingestellt, Jonas Sandberg, der die gesamte operative Abteilung
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