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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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normal, ich meine zwischen Mutter und Tochter.«
    Rebekka nickte, während sie Sanna Gudbergsen aufmerksam beobachtete,
die so fest an der Kordel ihres Bademantels zog, dass ihre Knöchel ganz weiß
waren. Ein kurzes Schweigen entstand, dann beugte Sanna Gudbergsen sich
vertraulich zu Rebekka.
    »Anna war manchmal schon recht schwierig. Aber ich glaube nicht,
dass sie … schlimmer oder wilder war als andere Mädchen in ihrem Alter. Aber
das weiß ich natürlich nicht genau. Ich … ich habe ja keine anderen Kinder.«
    Sie begann heftig zu weinen, und Gert Gudbergsen trat schnell zu
ihr, um sie zu trösten. Er nahm sie mit einer linkischen Bewegung in den Arm,
die Rebekka und Michael deutlich machte, dass Umarmungen nicht zum Alltag des
Ehepaars gehörten.
    »Sehen Sie, wir können einfach nicht mehr. Sehen Sie sich meine Frau
an.« Er zeigte fast anklagend auf Sanna Gudbergsen, die in sich
zusammengesunken war und noch kleiner wirkte als zuvor.
    »Ich verstehe sehr gut, dass es erschütternd für Sie sein muss, über
Anna zu reden. Aber wenn wir Annas Mörder finden wollen, sind alle
Informationen über sie von größter Wichtigkeit«, sagte Rebekka leise. Gert
Gudbergsen ließ seine Frau los, gewann seine Fassung zurück.
    »Natürlich, wir stehen nur etwas unter Schock. Das Ganze ist so
unwirklich. Wir verstehen es immer noch nicht. Ich glaube, wir brauchen einen
Kaffee.«
    Eine Schar Zugvögel zog am Fenster vorbei, während Gert Gudbergsen
ihnen einen Kaffee und Papiertaschentücher für seine Frau holte. Er selbst vergoss
verblüffend wenig Tränen, stellte Rebekka fest.
    »Wie kommt es, dass Anna immer noch zu Hause wohnte?«, fragte sie.
    Annas Eltern sahen sie gleichzeitig an und rückten enger zusammen,
als wollten sie eine gemeinsame Front bilden.
    »Anna wohnte gerne in ihrem Elternhaus. Sie hatte oben ihren eigenen
Bereich, also Schlaf-, Wohn- und Badezimmer und einen eigenen Eingang. Es ging
ihr wirklich gut.« Gert Gudbergsen unterstrich seine Worte mit einer
Armbewegung.
    »Anna war unser Augenstern. Wir haben so lange auf sie gewartet,
wenn Sie verstehen«, fügte Sanna Gudbergsen plötzlich hinzu und griff nach der
Hand ihres Mannes. Beide schwiegen.
    »Hatte sie einen Freund?«, fragte Michael.
    »Einen Freund?« Gert Gudbergsen schien schockiert.
    »Ja, einen Freund«, wiederholte Michael. »Ich meine, sie war
zweiundzwanzig und eine schöne, junge Frau. Sie muss massenweise Verehrer
gehabt haben.«
    »Sicher.« Sanna Gudbergsen zögerte, als wäre eine Antwort auf diese
Frage schwierig.
    »Also, sie war hin und wieder verliebt, und viele Jungs haben sich
auch für sie interessiert, aber regelmäßig getroffen hat sie sich nur mit Erik
Mathiesen. Er ist der Sohn von John Mathiesen, dem Pfarrer der Freikirche. Sie
wohnen in der Nebenstraße.«
    »Wie würden Sie ihr Verhältnis beschreiben?«
    »Sie haben sich regelmäßig getroffen und sich gemocht, daran besteht
kein Zweifel, aber etwas Ernstes wäre daraus wohl nie geworden. Anna gehörte
nicht zu ihrer Gemeinde, und die Kirche ist das Leben der Familie Mathiesen.
Außerdem hatte Anna kein großes Interesse an einem festen Freund«, sagte Sanna
Gudbergsen und sah ihren Mann an. »Nicht wahr, Gert?«
    »Das ist richtig«, bestätigte Gert Gudbergsen.
    »Wo waren Sie in der Nacht zum Sonntag zwischen zwei und vier?«,
fragte Rebekka, und das Ehepaar starrte sie wie gelähmt an.
    »Wir waren hier. In unserem Bett. Wo hätten wir denn sonst sein
sollen?«, antwortete Gert Gudbergsen entrüstet.
    Als der Kaffee ausgetrunken war, führte er sie nach oben. Rebekka
war noch nie in der ersten Etage gewesen. Als sie regelmäßig in dieses Haus
kam, hatte Rigmor diese Etage an Studenten vermietet. Jetzt stieg sie die
breite Treppe hinauf, deren Stufen bei jedem Schritt noch genauso knarrten wie
damals, als die verschiedenen Mieter vergebens versucht hatten, die Treppe hinunterzugehen,
ohne viel Krach zu machen. Rigmor hatte Lärm gehasst.
    Von dem Treppenabsatz in der ersten Etage führte eine steile Treppe
auf den ausgebauten Speicher und zu Annas Wohnung, und als Rebekka und Michael
eintraten, konnte Rebekka nur zu gut verstehen, warum Anna es nicht eilig
gehabt hatte, von zu Hause auszuziehen. Die Aussicht von hier oben zog einen in
ihren Bann. Unten lag der von Wald umgebene Fjord, während man gleichzeitig die
roten Ziegeldächer der Häuser und die Kirchturmspitze sah. Man schien dem
Himmel näher zu sein.
    »Was für ein Zimmer.« Michael sah sich

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