Vergeltung
rot, die Ader am Hals
pochte heftig.
»Ich habe sie nicht umgebracht. Das habe ich nicht … Ich hätte ihr
vielleicht eine langen können, aber ich hätte sie nie umgebracht.«
»Stopp, Michael.« Rebekka erwachte beim Klang ihrer eigenen Stimme.
Es wurde still. Michael starrte sie sprachlos an. Alex dagegen schien die
Situation zu genießen.
—
Rebekka massierte sanft
ihre Schläfen und versuchte, das fortwährende Klingeln des Telefons zu ignorieren.
Sie hatte Michael zurechtgewiesen. Die Befragung des Verdächtigen abgebrochen.
Ihrer Meinung nach war es zu emotional geworden. Michael hatte das Verhör nicht
ordentlich aufgebaut, und sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie nicht von
Anfang an die Gesprächsführung übernommen hatte.
Michael war zunächst völlig perplex
gewesen, dann hatte er das Büro ohne ein Wort verlassen. Sie hatte Alex zurück
in die Zelle bringen lassen und war Michael nachgegangen.
»Ich habe es verpatzt. Entschuldigung.« Rebekka stand in der Tür zu
Michaels Büro. Er kehrte ihr den Rücken zu. Einen Moment herrschte Stille, dann
drehte er sich wütend zu ihr um.
»Ich gehöre nicht zu denen, die sich von der mobilen Spezialeinheit,
von eurem exklusiven Klub oder wie immer man es nennen will, einschüchtern
lassen. Ganz im Gegenteil, ich finde diese Zusammenarbeit interessant und gut
und habe mich darauf gefreut. Aber kommen Sie nicht hierher und weisen mich vor
einem Verdächtigen zurecht. Das ist unprofessionell.«
Seine Stimme war scharf. Sein Vorwurf angemessen.
»Sie haben recht. Es wird nicht wieder vorkommen. Wir hätten unser
Vorgehen vor dem Verhör absprechen sollen.« Rebekka ließ ihre Stimme so neutral
wie möglich klingen, damit das Gefühl der Niederlage nicht zu sehr von ihr
Besitz ergriff. Sie wollte ihre Verhörtechniken gerne erläutern, andere an
ihrem Wissen teilhaben lassen, aber das musste jetzt warten. Sie bewegten sich
auf Messers Schneide.
»Machen wir weiter, ja?« Sie wartete die Antwort nicht ab, sondern
fuhr fort: »Wir sprechen jetzt mit Katja Korsgaard und Mia Hansen. Ich kann das
mit David machen, wenn Sie eine Pause brauchen. Wir müssen auch mit Erik
Mathiesen reden.«
Michael erhob sich, streckte seinen muskulösen Körper, dass es
knackte.
»Natürlich müssen wir das.« Seine Stimme war noch immer kühl, aber
Rebekka spürte einen Ansatz von Versöhnlichkeit darin.
—
Rebekka stellte sich
gerade Annas Freundinnen vor, als ihr Handy klingelte. Es war das
rechtsmedizinische Institut in Århus, das ihr mitteilte, dass sie um 13.00 Uhr
das Ergebnis der Obduktion besprechen konnten. Sie bat einen Polizisten, die
Mädchen mit Mineralwasser zu versorgen, während sie David zur Seite nahm.
»Michael und ich fahren nach Århus
und wohnen dem letzten Teil der Obduktion von Anna Gudbergsen bei. Können Sie
zusammen mit Egon Mia und Katja verhören?«
David nickte leicht widerwillig, wie ihr schien. Sie wollte jetzt
keine weitere Auseinandersetzung, tat, als würde sie nichts bemerken, und
bedankte sich freundlich.
»Ich soll die Mädchen doch wohl nicht als mögliche Täter
beziehungsweise Täterinnen in Betracht ziehen?«, fragte David und verzog das
Gesicht zu einer albernen Grimasse.
Sie sah ihn an.
»Sie sollen alle, und ich meine alle, als mögliche Täter in Betracht
ziehen«, erwiderte sie kühl, drehte sich auf dem Absatz um und ging.
Auf dem Weg aus der Tür bat sie Bettina Pallander, Teit Jørgensen
über die Obduktion in Århus zu informieren. Bettina sah sie nicht an, während
Rebekka ihr die Anweisung gab, sondern tippte mit ihren langen Nägeln, die
heute neonpink lackiert waren, weiter auf ihrem Computer. Ihre Armreifen klirrten
gegen die Tastatur und erzeugten Laute, die noch lange in Rebekkas Ohren
nachklangen, nachdem sie das Büro verlassen hatte.
—
Die Verwandlung war
überwältigend. Anna Gudbergsen sah nicht mehr wie ein toter Engel, sondern einfach
nur tot aus. Der Verwesungsprozess hatte definitiv eingesetzt. Die Haut war
bleich und teigig, die Lippen dünn und blutleer. Der Blutverlust war enorm
gewesen, was bedeutete, dass der Körper weniger Leichenflecken aufwies als
üblich. Das grelle Licht verlieh den grün gekleideten Rechtsmedizinern ein
ungesundes, fast unmenschliches Aussehen.
Sie begrüßten die beiden. Einen
erfahrenen älteren Mann, Niels Peter Ask, von dem Rebekka schon öfter gehört
hatte, und einen jüngeren energischen Kollegen mit hellblonden Haaren, der sich
als Anders Berglund
Weitere Kostenlose Bücher