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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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waren
auf sie gerichtet. Sie zeigte auf das große Farbfoto von Anna. Auf dem Bild
trug die junge Frau eine Kette mit einem goldenen Medaillon.
    »Anna Gudbergsen hat dieses alte Medaillon ihren Eltern zufolge
immer getragen, doch jetzt ist es fort. Wo ist es? Hat sie es während des
Kampfes verloren oder hat der Täter die Kette als Trophäe mitgenommen? Das zu
wissen ist wichtig, um den Täter zu verstehen.«
    Rebekka spülte den Rest lauwarmen Kaffee hinunter.
    »Warum wurde Anna Gudbergsen ermordet?«
    Ein Ruck ging durch die Versammlung, als Rebekka die Worte
aussprach, und sie fuhr ruhig fort: »Wir müssen versuchen, den Täter zu
verstehen. Für den Täter ist der Mord positiv, das heißt, es war für ihn
notwendig, ihn zu begehen. Erst wenn wir das verstehen, können wir ihn fassen.«
    Alle hörten gebannt zu.
    »Wir müssen so schnell wie möglich Anna Gudbergsens Leben
durchleuchten. Familie, Freunde und Freundinnen, eventuelle Verehrer, Exfreunde
und Liebhaber, Kommilitonen, die wirtschaftlichen Verhältnisse und so weiter.
Darüber hinaus müssen wir herausfinden, in welcher Reihenfolge ihr die Verletzungen
zugefügt wurden. Alle Handlungen sagen etwas über den Täter aus. Michael
Bertelsen und ich bleiben hier und gehen das vorläufige Material durch. Wir
treffen uns alle morgen früh um acht wieder. Um diese Zeit werden wir uns auch
in Zukunft treffen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.«
    Sie nickte kurz, und die Gruppe erhob sich lautstark.
    Anschließend ging sie um den Tisch und gab jedem Einzelnen die Hand.
Susanne, eine blonde, kräftige Frau Mitte vierzig, hieß sie herzlich
willkommen. Egon Bjerregaard, ein kleiner und stämmiger Mann mittleren Alters
mit buschigem Bart und dickem Bauch, tat es ihr gleich. David Johansen dagegen
sah Rebekka abweisend an und drehte sich blitzschnell um, als sie ihn begrüßen
wollte, während er so tat, als wäre er mit einer Akte beschäftigt. Rebekka
zuckte innerlich mit den Schultern.
    You can’t win them all.
    —
    Es war fast Mitternacht,
als Rebekka in ihrem Hotelzimmer im Hotel Ringkøbing eintraf. Das Hotel, das
direkt am Markt lag, war gerade einer größeren Renovierung unterzogen worden,
und ihr Zimmer war groß und hell und roch leicht nach frischer Farbe und gehobeltem
Holz. Sie nahm ein heißes Bad und spürte, wie sich ihre verkrampften Muskeln
entspannten. Anschließend wickelte sie sich in ein Badetuch und blickte aus den
großen Fenstern. Der Markt, der Mittelpunkt der Stadt, lag verlassen da. Die
große Grillbar – der Marktgrill oder Pølse Åge, wie er von den treuesten Stammkunden
auch genannt wurde – war noch immer genau an derselben Stelle mitten auf dem
Markt wie vor sechzehn Jahren, als sie die Stadt verlassen hatte. Sie lehnte
die Stirn gegen die kühle Scheibe und ging in Gedanken die Ereignisse des Tages
durch. Sie war erleichtert, dass sie bisher noch nicht an Robin gedacht hatte.
Vielleicht würde es doch nicht so schlimm werden, wieder hier zu sein.
    Kurz darauf fiel sie in einen
unruhigen Schlaf. Sie warf sich unter der schweren Decke von einer Seite auf
die andere. Der Anblick von Annas großen ausdruckslosen Augen und ihrem
geschändeten Körper mischte sich mit Bildern von tosenden schwarzen Wellen mit
weißen Schaumkronen. Sie schwamm in den Wellen, erspähte Land, doch mit jedem
Zug rückte der Strand weiter weg. Sie spürte, wie Panik sich in ihrem Körper
ausbreitete. Sie hatte das Gefühl, an den Beinen festgehalten, in die Tiefe
gezogen zu werden. Sie schlug wild um sich, schluckte kaltes Salzwasser und
hustete kräftig, bekam keine Luft. Langsam ließen ihre Kräfte nach, sie gab
ihren Widerstand auf und das Meer füllte ihre Lungen mit Wasser. Alle Laute
verstummten, alle Farben verblassten – und plötzlich schwebte Robin in dem
Dunkel vor ihr. Er sah aus wie eine Meduse mit langen, fadenartigen Armen, die
nach ihr griffen, sich um ihren Körper, ihr Gesicht und ihren Mund schlangen.
    Sie erwachte mit einem Ruck und setzte sich abrupt im Bett auf. Seit
Jahren hatte sie nicht mehr von Robin geträumt. Graues Morgenlicht drang durch
die schweren Gardinen, und sie hörte es in den Rohren rauschen. Sie griff nach
dem Ordner mit den Fallakten zum Mord an Anna Gudbergsen. Sie musste ihre
Aufmerksamkeit auf etwas anderes richten, doch immer wieder tauchte das Bild
von Robin vor ihrem inneren Auge auf. Schließlich konnte sie nur noch unter die
warme Dusche steigen und versuchen, die Dämonen der Vergangenheit

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