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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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Pfarrer der
Freikirche.
    Es war über zwanzig Jahre her, dass die junge Jane dem ein Jahr
älteren John das Jawort gegeben hatte. Janes Eltern hatten ihnen die schöne
Villa mit Aussicht auf den Fjord zur Hochzeit geschenkt, und hier wohnten sie
noch immer. Jane ging summend in ihrer geräumigen Küche umher und wusch
Küchentüren und Küchenschränke ab, während der Kalbsbraten im Ofen schmorte.
Der Bratenduft mischte sich mit dem Geruch von Ajax, und Jane wusste nicht,
welchen sie lieber mochte. Sie warf einen raschen Blick auf die Küchenuhr an
der Wand, die sie unerbittlich daran erinnerte, dass die Zeit verging. Gleich
würde Kenneth von seiner Sonderschule gebracht werden, und die beiden Ältesten
würden ebenfalls bald nach Hause kommen. Der älteste Sohn, Kristian, wohnte
nicht mehr zu Hause, doch heute würde er zu Janes großer Freude mitessen, und
sie wollte ihn mit einem Braten überraschen. Sie liebte es, die ganze Familie
um den Tisch versammelt zu sehen, dann fühlte sie sich sicher und geborgen.
    »Hallo, Mama.« Die Küchentür ging auf, und der fünfzehnjährige
Kenneth kam herein.
    »Hallo, mein Liebling.« Jane lächelte den Jungen an. Dann half sie
ihm, sich der Jacke, Schuhe und Tasche zu entledigen.
    »Geh dir die Hände waschen, Kenneth. Dann stelle ich schon mal
Frikadellen und Saft raus.«
    »Ja, Mama.« Der Junge stolperte laut durch die geräumige Diele zum
Badezimmer, und kurz darauf hörte Jane das Wasser laufen. Sie stellte kalten
Saft und selbst gemachte Frikadellen auf den Tisch. Wieder sah sie auf die Uhr.
Konnte sie sich noch schnell eine Tasse Kaffee mit dem Jungen gönnen? Sie
dürfte mit allem fertig sein, bis John, Kristian und Erik zum Abendessen nach
Hause kamen. Sie hinkte der Zeit hinterher, war den ganzen Tag irgendwie von
der Rolle gewesen. Das lag nicht zuletzt an dem Mord. An Anna.
    Kenneths rundes, frohes Gesicht tauchte in der Küchentür auf.
    »Guck, Mama, fertig.« Kenneth streckte ihr seine halb trockenen
pummeligen Hände hin. Dann bohrte er seinen Kopf in ihre Schulter.
    Jane umarmte ihn zärtlich und führte ihn zum Esstisch, und Kenneth
gluckste vor Vergnügen beim Anblick von Saft und Frikadellen. Es schellte an
der Tür, und Jane, die sich gerade einen Kaffee eingegossen hatte, zuckte
zusammen.
    »Ich mache auf … ich mache auf«, rief der Junge und lief in die
Diele.
    Wer ist denn das jetzt?, dachte sie müde, während sie sich durch das
kurze Haar fuhr. Sie hörte leises Stimmengemurmel, gefolgt von der schrillen,
hohen Stimme ihres Sohnes: »Mama, Mama … Polizei.«
    Jane sah wie im Zeitlupentempo, wie die schöne cremefarbene
Kaffeetasse zu Boden fiel und zerschmetterte. Schwarzer Kaffee spritzte auf die
frisch geputzten Küchentüren
und breitete sich zwischen den cremefarbenen Scherben aus. Sie knirschten laut,
als sie darüber hinwegstieg, um zur Haustür zu gehen.
    —
    »Guten Tag, mein Name ist
Rebekka Holm. Ich bin von der Polizei. Sind deine Eltern zu Hause?«
    Ein Junge, der offensichtlich am
Downsyndrom litt, starrte sie staunend an. Dann rief er mit einer seltsam
hellen Stimme nach seiner Mutter. Einen Moment später tauchte eine große,
kräftige Frau mit hektischen roten Wangen und einem verdatterten Gesichtsausdruck
in der Tür auf. Sie trocknete sich fahrig die Hände an ihrer Schürze ab, auf
der über dem Bauch groß Le Chef stand.
    »Entschuldigung, mir ist gerade meine Kaffeetasse runtergefallen.
Guten Tag, Jane Mathiesen.«
    Die Frau reichte Rebekka eine kräftige, aber gepflegte Hand, und
Rebekka zeigte ihren Ausweis.
    »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, aber Ihr Sohn Erik kannte
Anna Gudbergsen ja ziemlich gut. Wir würden gerne mit ihm reden.«
    Jane Mathiesen starrte sie erschrocken an und einen Augenblick kamen
Rebekka Zweifel, inwieweit die Familie überhaupt über Annas Schicksal
informiert war, doch dann kam sie zu dem Schluss, dass sie natürlich davon
gehört haben mussten, da sowohl Zeitungen als auch Radio und Fernsehen
unaufhörlich die letzten Neuigkeiten über den Mord kommentierten.
    »Ja, ja, natürlich … sie haben sich gekannt. Wir alle haben Anna
gekannt. Es ist so furchtbar.«
    Jane Mathiesens Augen füllten sich mit Tränen. Sie sah unglücklich
aus.
    »Darf ich einen Augenblick hereinkommen?«, fragte Rebekka.
    »Entschuldigung, wie dumm von mir. Im Moment geht einfach alles
schief.«
    Jane Mathiesen führte sie herein, und sie setzten sich ins
Wohnzimmer, das mit seinen groß geblümten Sofas auf eine

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