Vergeltung
vorstellte.
Bei der Leiche handelte es sich um eine gesunde, schlanke, sehr
gepflegte zweiundzwanzigjährige, sexuell aktive Frau, die noch nie schwanger
gewesen und positiv auf Chlamydien getestet worden war. Sie hatte ein Piercing
in der rechten Brustwarze und Löcher in beiden Ohren. Ihre Blutgruppe war 0
Rhesus positiv. Ihr Mageninhalt roch nach Alkohol, was darauf schließen ließ,
dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes betrunken gewesen war.
Der Tod war, wie Thorkild Thøgersen vermutet hatte, durch Erwürgen
eingetreten.
Niels Peter Ask zeigte auf Annas Hinterkopf.
»Sie hat zwei kräftige Schläge auf den Hinterkopf bekommen,
vermutlich mit einem Golfschläger.« Er beugte sich vor, um es ihnen zu zeigen.
»Solche Schläge hinterlassen diese Art von Quetschwunden, die an den Kanten
leicht unregelmäßig sind, eine fast sternförmige Verletzung mit faserigen
Wundrändern. Bei genauerem Hinsehen lässt sich ein leicht geriffeltes Muster
erahnen, das an die Riffelungen auf einem Golfschläger erinnert. Die Schläge
haben zu einem Schädelbruch und einem kleinen subduralen Hämatom geführt, das
heißt einer Blutung unter der harten Hirnhaut, die tödlich sein kann, wenn sie
nicht operiert wird.«
Anders Berglund nickte eifrig und übernahm.
Sie hatten einundzwanzig Messerstiche gezählt, verteilt über Körper
und Gesicht, von denen allein vier tödlich gewesen waren. Die Aorta war
perforiert, genau wie die rechte Lunge, die Leber penetriert. Die Bauchhöhle
war voller Blut, und Anna wäre verblutet, wäre sie nicht vorher erwürgt worden.
»Ungefähr zehn der Stiche, unter anderem die im Gesicht, erfolgten
nach Eintreten des Todes. Um die Wundränder waren keine Blutergüsse zu
erkennen.«
Rebekka schnalzte mit der Zunge. Der Täter war demnach wirklich
regelrecht Amok gelaufen.
»Sie ist mit den Händen erwürgt worden.« Niels Peter Ask zeigte auf
Annas Hals, und Rebekka und Michael beugten sich über die Leiche. »Auf beiden
Seiten des Halses waren deutliche Hämatome zu sehen, nachdem das Blut erst
einmal abgewaschen war. Die Lungen waren luftüberfüllt, und das Schildknorpelhorn
ist gebrochen«, sagte er und zeigte auf den Tisch, auf dem der herausgenommene
Kehlkopf lag.
Er blickte Rebekka ernst an.
»Es braucht einiges an Kraft, um jemanden mit den bloßen Händen zu
erwürgen.« Rebekka begegnete seinem Blick, und der Rechtsmediziner nickte.
»Das stimmt, aber Anna hat sich nicht sehr gewehrt. Sie war schon so
geschwächt, als der Täter sie erwürgt hat, dass sie nur noch geringen
Widerstand geleistet haben kann, deshalb zeigen ihre Hände und Unterarme auch
kaum Abwehrverletzungen«, antwortete er und zeigte auf einen Arm, an dem man
ein paar klaffende rote Schnittwunden sah.
Der Mörder hatte wahrscheinlich Handschuhe getragen, als er Anna
erwürgt hatte. Sie war vermutlich mit einem gewöhnlichen zwanzig Zentimeter
langen Küchenmesser niedergestochen worden. Außerdem wies die Leiche keine
Anzeichen einer Vergewaltigung oder anderer sexueller Übergriffe auf.
»Wir haben die Gewebeproben ins Labor geschickt, aber das Ergebnis
wird erst in einer Woche vorliegen«, sagte Niels Peter Ask und zog die Latexhandschuhe
von seinen klobigen Händen.
—
Rebekka lehnte sich
erschöpft gegen die Mauer des rechtsmedizinischen Instituts. Michael
unterschrieb noch die letzten Papiere, damit die Leiche von Anna Gudbergsen
zurück nach Ringkøbing überführt werden konnte. Rebekka brauchte frische Luft.
Der süße Leichengeruch saß fest in ihrer Kehle, er war trotz der Packung
Mentos, die sie in sich hineingeschüttet hatte, nicht verschwunden.
Sie schauderte. Es war hart gewesen,
der Obduktion beizuwohnen, obwohl sie das schon unzählige Male erlebt hatte.
Doch irgendetwas an dem Fall Anna Gudbergsen erschöpfte sie und beraubte sie
ihrer gesamten Energie. Sie fror in der Sonne, wurde trotz ihrer Kaschmirjacke
und des Popelinemantels nicht warm. Sie schloss die Augen, versuchte, die angespannten
Kiefermuskeln zu lockern, das nährende Sonnenlicht in sich aufzunehmen. Sie
spürte, wie die Strahlen Wangen, Nasenrücken und Lippen wärmten …
Das Handy in ihrer Tasche klingelte und für den Bruchteil einer
Sekunde erwog sie, nicht dranzugehen. Dann war der Widerwille überwunden, und
sie meldete sich gerade noch rechtzeitig, um Teit Jørgensens ungeduldige Stimme
zu hören.
»Wo sind Sie?«
»In Århus, hat Bettina Ihnen nicht Bescheid gesagt?«
»Ehrlich gesagt, nein. Ich habe im ganzen Haus
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