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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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plötzlich sehr schwach. Sie rang nach Luft. Jetzt hieß es, rational
zu denken. Sie richtete den Blick auf ihre Hände. Sie hatte sich heute
besondere Mühe gemacht, ihre Nägel zu schrubben und zu maniküren, und der
perlmuttfarbene Nagellack betonte ihre schönen ovalen Nägel. Der dünne, goldene
Ehering mit der Inschrift: In guten wie in schlechten Zeiten bohrte sich in ihren linken Ringfinger. Wie eine konstante, lästige Erinnerung.
Jane zuckte zusammen, als die Küchentür aufging und Erik und Kenneth hereinkamen.
Erik hatte in einer versöhnlichen Geste den Arm linkisch um Kenneth gelegt, und
Kenneth lächelte dankbar zu seinem großen Bruder hoch und entblößte ein paar
Zähne, die grün vom Wassereis waren.
    »Ich mache einen Tee, den können wir alle gut gebrauchen, nicht
wahr?« Jane hörte deutlich die falsche Munterkeit in ihrer Stimme, doch die
Jungen schienen nichts zu bemerken. Sie schaltete den Wasserkocher ein, und
während sie wartete, dass das Wasser kochte, ließ sie das Medaillon in den
Abfalleimer gleiten. Dann stopfte sie schnell mehrere Lagen Küchenpapier darüber.
    —
    Rebekka lag auf dem weichen
Doppelbett. Auf dem Stuhl daneben stand ein leerer Pizzakarton. Die Pizza
vermischte sich in ihrem Magen gluckernd mit einem Glas halbwegs trinkbaren
Rotwein. Sie stöhnte laut. Man musste sich das einmal vorstellen, bereits nach
anderthalb Tagen war sie wieder Großkunde bei Pølse Åge geworden. Sie war den
ganzen Weg von der Familie Mathiesen bis in die Stadt zurückgelaufen und hatte
langsam jede einzelne Straße, durch die sie gekommen war, in sich aufgenommen.
Hatte versucht, die Eindrücke in kleinen Portionen zu verdauen, während die Erinnerungen
mit jedem zurückgelegten Meter auf sie einstürmten.
    Da hatte sie sich zusammen mit Robin
die Auslagen angesehen. Das einzige Spielzeuggeschäft der Stadt hatte dort
gelegen, und sie wusste nicht, wie oft sie mit ihrem kleinen Bruder an der Hand
vor dem farbenfrohen Schaufenster gestanden und sich die Nase an der kühlen
Scheibe platt gedrückt hatte, während sie all die Herrlichkeiten betrachteten.
Ihre Großmutter hatte in einer dunklen, aber gemütlichen Wohnung in der
Møllegade gewohnt, bis ihre Demenz so weit fortgeschritten war, dass sie in ein
Pflegeheim musste. Rebekka erinnerte sich an ihren verzweifelten Blick. Sie war
verwirrt gewesen und hatte nicht verstanden, wo sie war, und trotz der
wiederholten Versicherungen der Familie, dass sie in guten Händen sei, war es
ihnen nicht gelungen, ihr das verständlich zu machen. Die Großmutter war zur
Erleichterung aller nach wenigen Monaten gestorben. Rebekka merkte, dass sie
sie vermisste. Wenn sie ihre Großmutter an ihrer Seite gehabt hätte, als ihre
Welt zusammenbrach, was hätte das für sie bedeutet? Wenn, wenn, wenn.
    Sie war an einem der ältesten und schönsten Gebäude der Stadt
vorbeigekommen, dem alten Bürgerhaus, das gerade renoviert wurde. Der Giebel
war eingerüstet, und am Straßenrand parkten die Lieferwagen der Handwerker.
Rebekka erinnerte sich an den schönen Saal, in dem sie in ihrer Kindheit bei
Bällen und Wettbewerben aufgetreten war, an den kühlen Marmorboden, den gewundenen
Turm und den lauschigen Garten mit den knorrigen Apfelbäumen.
    Jetzt lag sie mit schmerzenden Füßen in einem Hotelbett und verdaute
die Pizza und ihre Eindrücke, während sie das morgige Briefing plante.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, ihren Eltern mitzuteilen,
dass sie in Ringkøbing war. Sie konnte sich nicht in der Stadt aufhalten, ohne
sich bei ihnen zu melden. Sie wussten vermutlich schon, dass sie hier war.
Irgendjemand hatte im Vorbeigehen erwähnt, dass ihr Name im Ringkøbing Dagblad gestanden hatte. Sie wunderte sich, wie die
Zeitung über sie berichten konnte, wo sie doch erst so spät am Sonntagnachmittag
eingetroffen war, doch dann kam ihr der Gedanke, dass Teit Jørgensen vermutlich
die Medien angerufen und von ihr erzählt hatte. Für das Ringkøbing Dagblad war die Story ein gefundenes Fressen, weil es
darüber berichten konnte, wie Rebekka in ihrer Geburtsstadt ein Verbrechen
aufklären sollte. Und Teit Jørgensen würde die Geschichte einiges an Publicity
einbringen. Rebekka warf einen schnellen Blick auf die Zeitungen, die sie
gekauft hatte, um up to date zu sein, was die Berichterstattung über den Mord
anging. Die Zeitungen schrieben im Großen und Ganzen das Gleiche, dass Anna
Gudbergsen jung, schön und beliebt gewesen sei. In vielen Artikeln

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