Vergeltung
altmodische Art hübsch
eingerichtet war. Vom Wohnzimmer führte eine Tür in einen üppig wuchernden
Garten, hinter dem sich der Fruerwald mit seinen hohen Bäumen erhob. Jane Mathiesen
folgte Rebekkas Blick.
»Wir wohnen so nahe an …« Sie beendete den Satz nicht, doch Rebekka
wusste genau, was sie sagen wollte. Vom Haus der Familie Mathiesen waren es nur
ein paar hundert Meter bis zum Tatort.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee, Tee oder selbst gemachten
Saft?«
»Nein, danke, ich will nicht lange stören. Ich möchte gerne mit Erik
sprechen. Er wohnt doch noch zu Hause, nicht?«
»Ja, das stimmt. Nur im Moment arbeitet er. Er hat die
Nachmittagsschicht im Café Himmelblå, aber er kommt zum Essen nach Hause. Das
haben wir so verabredet.«
Jane Mathiesen spielte nervös an einem Kissen mit einem
großflächigen Blumenmuster herum.
»Erik ist trotz allem, was passiert ist, heute zur Arbeit gegangen?«
Rebekka sah Jane Mathiesen an, die unruhig auf dem Sofa hin und her rutschte.
»Ist das falsch? Ich meine, eigentlich haben wir, John und ich, ihn
gedrängt, zur Schule zu gehen und anschließend zu arbeiten. Es bringt doch
nichts, hier zu Hause herumzusitzen, oder? Wir waren immer der Ansicht, dass es
besser ist, sich nützlich zu machen, auch in Krisensituationen.«
Sie lächelte Rebekka flüchtig an.
»Wie war Eriks Verhältnis zu Anna Gudbergsen?«
Röte schoss Jane Mathiesen ins Gesicht.
»Sie waren gute Freunde und haben sich wirklich gemocht.«
»Wie lange kannten sie sich?«
»Lange, wir sind schließlich Nachbarn. Eigentlich kennen wir Anna
durch Kristian, unseren ältesten Sohn. Sie waren im selben Handballklub, und da
sie in der Nähe wohnte, ist sie hin und wieder zu Besuch gekommen. So haben wir
sie mit der Zeit besser kennengelernt.«
»Wann sind Erik und Anna ein Paar geworden?«
Jane Mathiesens Gesicht färbte sich knallrot.
»Ein Paar, nein – das waren sie nicht. Nicht in dem Sinn. Das Ganze
war sehr unschuldig. Herrgott noch mal, sie sind … sie waren doch noch so
jung.«
Rebekka runzelte die Stirn. Sie verstand gar nichts mehr. Sie dachte
an Anna Gudbergsens nackten Körper auf dem Stahltisch des rechtsmedizinischen
Instituts mit dem Piercing in der Brustwarze und an den positiven
Chlamydienbefund.
Im selben Moment ging die Tür auf, und ein großer Mann von Mitte
vierzig mit einem schönen, markanten Gesicht und kräftigem dunkelbraunem Haar
trat ins Zimmer. Rebekka erkannte ihn irgendwie wieder, konnte sich aber nicht
erinnern, woher.
Hinter ihm tauchte ein jüngerer Mann mit den gleichen regelmäßigen
Zügen auf. Ob das Erik war?
»John Mathiesen.« Er drückte fest ihre Hand und lächelte sie
charmant an. »Und das ist mein ältester Sohn, Kristian Mathiesen.«
Rebekka erklärte ihr Anliegen. Der Vater rief im Café Himmelblå an,
doch niemand ging ans Telefon, weshalb Rebekka alle bat, um halb neun am
nächsten Morgen ins Polizeipräsidium zu kommen.
—
Kurz darauf stand Rebekka
draußen in der Dämmerung auf dem Bürgersteig. Sie fröstelte und überlegte, ob
sie zum Café Himmelblå gehen sollte, entschloss sich aber dagegen. Das musste
bis morgen warten. Sie ging auf dem verlassenen Bürgersteig am Wald entlang und
hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie drehte sich zu den großen Villen
um, aus denen ihr aus den meisten Fenstern warmes, gelbes Licht entgegenströmte.
Sie schritt schnell aus und atmete erst wieder freier, als sie den Kongevej
erreichte, auf dem in regelmäßigen Abständen Autos vorbeifuhren.
—
Jane kratzte die
angebranntesten Stellen von dem Braten ab und servierte ihn mit ihrem üblichen
mütterlichen Lächeln. Obwohl sie sich mit dem Abendessen große Mühe gegeben
hatte, war die Stimmung am Abendbrottisch angespannt. Als John das Tischgebet
gesprochen hatte, lastete ein tiefes Schweigen auf ihnen, nur unterbrochen von
dem Klirren des Bestecks und Kenneths lautem Schmatzen.
»Wie war dein Tag, Kristian?«,
fragte Jane ihren ältesten Sohn.
»Gut«, Kristian lächelte blass, »aber überall, wo man hinkommt,
sprechen die Leute von Anna. Alle sind total schockiert und haben mir den
ganzen Tag die unglaublichsten Fragen gestellt. Alle wollen wissen, wie sie war
… und ob ich weiß, wer sie umgebracht hat. Als ob ich das wüsste.«
»Ist doch klar, dass die Leute schockiert sind. Das ist ja auch
alles furchtbar«, antwortete Jane und zwang sich, ruhig zu klingen. Sie sah
schnell zu Erik hinüber, der stumm dasaß und Löcher in
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