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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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die Luft starrte. Er
war, ein paar Minuten nachdem die Polizistin gegangen war, nach Hause gekommen.
Er hatte seine Jacke in die Diele gehängt und war in sein Zimmer im Keller
verschwunden. Er hatte krank ausgesehen. Die dunklen Augen lagen tief in den
Höhlen und ließen ihn viel älter wirken als seine neunzehn Jahre. Erik hatte
immer älter ausgesehen als sein großer Bruder Kristian, der Charmeur der
Familie. Und der Schwarm der Mädchen. Immer verliebten sie sich in Kristian,
weshalb es alle, und nicht zuletzt Erik selbst, überrascht hatte, dass die umschwärmte
Anna Gudbergsen an ihm und nicht an seinem Bruder interessiert war. Wer weiß,
was er jetzt dachte, wo seine Anna weg war. Für immer, sinnierte sie und
beeilte sich, noch mehr Soße in die Sauciere zu füllen.
    Es war schwer gewesen, aus ihrem Verhältnis schlau zu werden.
Manchmal sahen sie sich häufig, dann wieder seltener, und niemand in der
Familie wusste genau, ob sie nur eng befreundet waren oder auch miteinander
schliefen. Erik sprach selten von Anna, doch wenn jemand auch nur ein negatives
Wort über sie äußerte, verteidigte er sie mit einer Vehemenz, die mehr als vermuten
ließ, dass starke Gefühle im Spiel waren. Zweifellos stand Erik völlig in Annas
Bann, doch wie viel sie für ihn empfand, wusste keiner. Sie war unberechenbar,
in einem Moment süß und charmant, im nächsten boshaft und verletzend.
    Anna war oft spontan vorbeigekommen, was Jane in den Wahnsinn
treiben konnte. Plötzlich stand das Mädchen mit seinen großen, grünen,
durchdringenden Augen in der Küchentür. Alle, die Anna begegneten, machten eine
Bemerkung über ihre Augen. Fanden sie schön, ausgenommen Jane. Jedes Mal, wenn
sie Annas Blick begegnete, ergriff ein Unbehagen von ihr Besitz. Jane fröstelte
unwillkürlich und versuchte, Anna aus ihren Gedanken zu verbannen. Jetzt
mussten sie als Familie zusammenhalten.
    »Poli-eins, Poli-zwei, Poli-drei …«, sang Kenneth plötzlich, immer
lauter.
    »Poli-vier, Poli-fünf, Poli-sechs …«
    »Ssst, Kenneth«, ermahnte ihn Jane, »sei still, wir essen.«
    »Tatü, tata – Polizei, Polizei.« Kenneth wackelte auf seinem Stuhl
hin und her.
    »Halt endlich die Klappe, du verdammter Mongo.«
    Erik sprang wütend auf, sodass sein Stuhl mit einem lauten Krachen
umfiel. Kenneth brach angesichts dieser heftigen Reaktion in Weinen aus, und
Erik stürzte aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. John erhob sich
mit verbissenem Gesicht.
    »Ich gehe hoch ins Büro«, sagte er und verließ die Küche.
    Kristian stand ebenfalls auf.
    »Danke für das Essen, Mama, ich muss los. Ich muss mich auf die Uni
vorbereiten, das Semester fängt bald an, und jetzt, wo wir … auch noch verhört
werden sollen und all das.«
    »Du gehst schon? Nach alldem hier. Kristian, bleib doch und trink
noch einen Tee. Wir sind schließlich alle erschüttert darüber, was mit Anna
passiert ist.«
    Jane lächelte ihren ältesten Sohn bittend an.
    »Mama, ich muss los. Aber wir sehen uns ja morgen früh.«
    Kenneth saß noch immer an seinem Platz und schniefte. Jane ging
langsam zu ihm hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. Sie blieb eine
Weile so stehen, bis der Junge sich beruhigt hatte. Dann merkte sie, dass er
etwas in seiner geballten Hand versteckte.
    »Was hast du da, Kenneth?«
    »Das gehört mir.« Kenneth sah Jane mit seinen schrägen Augen an.
    »Kenneth, natürlich, ich will nur sehen, was du da hast.«
    Jane öffnete vorsichtig die Hand des Jungen. Darinnen lag ein
kleines, goldenes Medaillon. Die dünne Goldkette war gerissen. Jane drehte das
Medaillon um. AG war auf der Rückseite eingraviert.
Einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Sie hatte das Medaillon auf den
Titelblättern mehrerer Zeitungen gesehen. Die Polizei suchte danach. Sie
versuchte, mit normaler Stimme zu sprechen, die in scharfem Kontrast zu ihren
Gefühlen stand.
    »Kenneth, Mama muss dir das abnehmen.«
    »Nein, das ist meins.« Der Junge griff nach dem Medaillon.
    »Weißt du was, Kenneth, wir tauschen. Du bekommst ein Eis aus dem
Tiefkühler.« Jane ließ ihre Stimme hell und freundlich klingen, und der Junge
runzelte die Stirn, während er über den Vorschlag seiner Mutter nachdachte.
Dann gewann sein konstantes Verlangen nach Zucker die Oberhand, und er warf
Jane die Kette zu, sprang von seinem Stuhl auf und verschwand in den Keller, wo
der Tiefkühler stand.
    Jane schloss die Hand fest um das Medaillon und ging zur Spüle. Sie
fühlte sich

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