Vergeltung
dass John ein Jahr älter war als sie, und mit der Zeit waren sie
unzertrennlich geworden.
Sie lächelte sich aufmunternd im Spiegel zu. Noch immer verwundert,
dass sie solch einen wunderbaren Ehemann bekommen hatte. John war immer umschwärmt
gewesen, und sie hatte nicht im Traum daran gedacht, dass ein Mann wie er sie
auch nur ansehen würde. Aber genau das hatte er getan. Er hatte es aufregend
gefunden, dass ihr Vater Pfarrer Bækkegaard war, und seine Besuche waren mit
der Zeit häufiger geworden. John und ihr Vater konnten stundenlang zusammensitzen
und über Religion und Glauben diskutieren, während Jane und die Mutter sie
umsorgten. »Halte John fest, das ist Vaters und mein Wunsch«, hatte die Mutter
eines Tages in der Küche zu ihr gesagt, als sie wieder einmal eine Mahlzeit für
die beiden Männer zubereiteten. Jane war rot geworden und hatte nur stumm
genickt. Nichts wollte sie lieber. Sie hatte ihn bereits damals geliebt. Sie
würde ihn nie verlassen. Niemals.
Sie ging nach unten. Das Haus war still. Kristian und Erik waren
ihrer Wege gegangen, sobald das Verhör zu Ende gewesen war, nur Kenneth spielte
draußen im Garten. Sie warf einen Blick durch die große Terrassentür und konnte
seinen unförmigen Körper gerade noch in einer Ecke der Terrasse erahnen. Er saß
auf dem Boden und stapelte Steine aufeinander, während er mit sich selbst
redete. Nachdem Anna ermordet worden war, hatte er Angst, drüben bei den Bäumen
zu spielen, wie er es sonst immer getan hatte. Hinter dem Garten erhob sich der
Wald wie ein dunkler Schatten, und Jane zitterte, zog die Strickjacke fester um
sich und winkte Kenneth, aber er sah sie nicht. Wie war er an das Medaillon gekommen?
Das Schmuckstück war auf den Titelblättern sämtlicher Zeitungen abgebildet, und
sie hatte sie so gut wie möglich versteckt, damit sie ihm nicht in die Hände
fielen. Die Journalisten schrieben unaufhörlich von Mördern und ihren Trophäen
und brachten Vergleiche aus den USA. Das Ganze wirkte erschreckend und falsch
in ihrer kleinen Stadt. Janes Herz zog sich bei dem Gedanken an den ganzen
Rummel schmerzhaft zusammen, und einen Moment hatte sie Schwierigkeiten, genug
Luft zu bekommen. Natürlich hatte sie die Halskette entsorgt, doch was, wenn
jemand den Müll auf der Müllhalde der Gemeinde durchsuchte? Was war mit
Fingerabdrücken? Das Verhör heute hatte ihr Angst gemacht. Warum hatte man sie
nach Namen gefragt, die mit P anfingen … nach Poltergeist? Wenn die Polizei nur
nicht glaubte, dass sie etwas mit dem Mord zu tun
hatten.
Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, und sie setzte mit
zitternden Händen Kaffeewasser auf. Wäre Anna doch nie in ihr Leben getreten.
Der Gedanke war ihr nicht neu. In dem Moment, in dem sie Anna das erste Mal
begegnet war, hatte sie instinktiv gespürt, dass Anna eine Gefahr darstellte.
Anna flirtete mit jedem, selbst mit Kenneth, der vor Begeisterung sabberte,
sobald das Mädchen sich ihm näherte. Jane schnaubte verächtlich. Sie hatte
gesehen, wie der Junge Annas Körper angestarrt hatte – ihre hervorstehenden
Brüste unter dem halb durchsichtigen Top, ihren Hintern, der durch die tief
sitzende modische Jeans halb entblößt wurde. Sie fuhr sich über den Kopf, um
die Bilder zu vertreiben. »Den Deckel drauf, den Deckel drauf, und alles ist vergessen.«
Der Spruch ihrer Mutter hatte Jane durch ihre ganze Kindheit und Jugend
begleitet. Jetzt war sie zum ersten Mal in einer Situation, in der die Worte
Sinn machten.
—
Sie ließen Alex Pedersen
am frühen Nachmittag gehen.
»Ihr könnt mich also nicht länger
festhalten.« Alex grinste Rebekka höhnisch an, während er Zigaretten und
Feuerzeug einpackte. Auf dem Weg zur Zellentür blieb er so dicht vor ihr
stehen, dass sie ihn riechen konnte. Eine Mischung aus kräftiger Seife, Zigarettenrauch
und frischem Schweiß. Der diensthabende Beamte trat warnend einen Schritt auf
ihn zu.
»Das ist schon okay.« Rebekka sah Alex in die Augen. »Fühlen Sie
sich nicht zu sicher. Und denken Sie daran, dass Sie ohne unsere Erlaubnis die
Stadt nicht verlassen dürfen.« Rebekka hielt seinen Blick fest. Alex lachte.
»Ich habe doch gesagt, dass ich es nicht war. Selbst wenn ich es
demjenigen nicht verdenken kann. Denn ganz ehrlich, Anna Gudbergsen war eine bitch .«
»Raus.« Rebekka zeigte auf die Tür. Alex zuckte gleichgültig die
Schultern und ging.
—
Der Schokoladenkuchen war
gehaltvoll und süß, und Rebekka schaufelte das große Stück schnell in
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