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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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bewegte sich nicht, bis sich die Schritte
schnell wieder entfernten. Vorsichtig schaute sie aus den Büschen hervor und
sah Kristian Mathiesen von hinten. Er pfiff laut, während er tiefer in den Wald
hineinging.
    —
    Louise Jørgensen war ein
dünnes Mädchen mit blondierten Haaren und kleinen blauen Augen, dick umrahmt
von Mascara und Eyeliner. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen, während
sie mit leiser, monotoner Stimme erzählte.
    Sie war seit ungefähr einem Jahr die
Freundin von Alex Pedersen gewesen, als er sie am 26. Oktober 2004 überfallen
hatte. Alex war einerseits ziemlich schüchtern, konnte aber liebevoll und
charmant sein, wenn ihm danach war. Leider war er auch sehr eifersüchtig. Er
erlaubte nicht, dass Louise mit anderen Typen redete, und wenn sie andere
Männer ansah oder jemand sie anguckte, konnte es zu einer Szene kommen.
    »Und er hat es gehasst, wenn man unfreundlich mit ihm geredet hat«,
sagte Louise, während sie sich noch eine Zigarette anzündete.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Rebekka.
    »Also, wenn man auf ihm herumgehackt oder ihm gesagt hat, was er tun
sollte. Das konnte er gar nicht haben – das hat ihn an seine Mutter erinnert,
hat er gesagt, und die hat er nicht gemocht, um es einmal nett auszudrücken.« Louise
zog kräftig an der Zigarette. »Aber das kann man ihm auch nicht verdenken, denn
seine Mutter ist schon ein durchgeknalltes Weibsstück. Sie ruft ihn nie an,
unterstützt ihn nie. Wir haben sie ein paarmal besucht, und da hat sie nur
dagesessen und uns gleichgültig angeglotzt.« Louise sah Rebekka und Michael
entrüstet an.
    »Stellen Sie sich das mal vor«, wiederholte sie. »Er ist ihr
scheißegal, obwohl er ihr Kind ist.«
     
    Rebekka spielt
Himmel und Hölle auf den Fliesen hinter dem Haus.
    Die Abendsonne hängt wie
eine Feuerkugel am Horizont. Es sind Sommerferien, und die Bienen summen um die
großen Hagebuttensträucher.
    Die Tante ist zu Besuch.
Sie gleicht der Mutter. Die langen Beine, der aufgedunsene Bauch, die schrägen
dunkelblauen Augen und der schmale Strich des Mundes.
    Die Mutter serviert
Kaffee. Die Tante hat Torte mitgebracht. Ihre Stimmen sind durch das Fenster zu
hören. Sie bewegen sich wie Wellen rauf und runter, bald vertraulich flüsternd,
dann wieder laut und aufgeregt.
    Rebekka spielt weiter. Sie
ist zehn. Sie ist im letzten Jahr gewachsen, seit Robin. Ihr Körper ist lang
und kantig, ihre knochigen Knie sind deutlich durch die gestreiften
braun-orangen Strümpfe zu erkennen. Der hellbraune Wildlederrock wird langsam
zu kurz und verhüllt nur wenig von ihren mageren Schenkeln. Ihre langen braunen
Haare sind zerzaust. Ihre Lippen sind wie offene Wunden und die Nägel kurz und
unregelmäßig, heruntergebissen bis auf das Fleisch.
    »Du könntest dich trotzdem
ein bisschen um sie kümmern.« Die Stimme der Tante ist hohl. Man kann hören,
dass sie Luft holt, Anlauf nimmt, Mut sammelt. »Ich meine, sie ist immerhin
deine Tochter.«
    Die Mutter murmelt etwas.
Rebekka bleibt stehen, hält die Luft an.
    »Ich kann nicht. Ich kann
einfach nicht.« Die Mutter spricht leise. Eine Gabel kratzt über den
Kuchenteller, das Schlürfen von Kaffee. »Allein ihr Anblick. Ich kann ihn
einfach nicht ertragen. Noch nicht. Ich vermisse ihn so, Grethe. Ich vermisse
ihn so, dass es mich umbringt.« Die Mutter schluchzt auf.
    Rebekka atmet keuchend ein
und sackt langsam unter dem Fenster in sich zusammen. Sie liegt lange auf den
Fliesen, platt gedrückt wie ein Insekt, das jemand zertreten hat.
     
    »Was genau ist am 26.
Oktober 2004 passiert?« Michael blätterte in dem Bericht.
    Louise sah ihn an, wand sich auf
ihrem Stuhl.
    »Das wissen Sie doch. Er ist schließlich verurteilt worden.«
    »Das weiß ich, Louise, aber wir würden es gerne aus Ihrem Mund
hören.« Michael lächelte sie an, und sie erwiderte das Lächeln und zündete sich
eine weitere Zigarette an. Sie sprach auf Aufmerksamkeit an, gleichgültig, von
wem sie kam.
    »Nun ja, ich hab ihn einfach nicht mehr ertragen. Wir hatten ein
paar schlechte Monate, wir haben viel gestritten. Da hab ich ihm gesagt, dass
ich nicht mehr will und dass wir Schluss machen sollten, und da ist er total ausgerastet.«
Louise verdrehte die Augen. »Er hat herumgeschrien, ich könnte nicht einfach
gehen, und da hab ich gesagt, dass das schließlich meine Sache ist und dass er
sich lächerlich macht, und da hat er mir eine Ohrfeige gegeben, einfach so.«
Louises Augen verdunkelten sich. »Ich hab natürlich wie

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