Vergeltung
verrückt geschrien, und
er hat immer wieder auf mich eingedroschen. Ich hatte solche Angst, ich hab
ganz fest geglaubt, dass ich sterben muss.« Louises Augen füllten sich mit
Tränen, und einen Moment glich sie einem Kind.
Rebekka reichte ihr eine Schachtel Kleenex. »Können Sie sich
wortwörtlich daran erinnern, was Sie gesagt haben, bevor er ausgerastet ist?«,
fragte Rebekka.
Louise nickte langsam.
»Ich hab gesagt, dass er eine Niete im Bett ist und dass Jan richtig
gut war.«
»Jan?«
»Ja, Jan.« Louise sah Michael lachend an. »Jan hab ich einfach
erfunden, um ihn eifersüchtig zu machen. Und das ist mir ja auch gelungen …«
Sie griff sich vorsichtig an die Nase.
Dem Protokoll zufolge hatte Louise eine gebrochene Nase, ein blaues
Auge, einen ausgeschlagenen Schneidezahn und ein gebrochenes rechtes Handgelenk
gehabt, außerdem zahlreiche Blutergüsse. Obwohl Louise Jørgensen grob
misshandelt worden war, hatte sie zu keinem Zeitpunkt in Lebensgefahr geschwebt.
»Meine Mutter hat gesagt, dass ich ihn anzeigen soll. Das haben wir
dann auch gemacht. Sie ist mitgegangen.«
»Glauben Sie, dass Alex jemanden umbringen könnte?«, fragte Michael.
Louise zuckte mit den Schultern.
»Vielleicht, wenn er richtig wütend ist. Er kann sich nicht
beherrschen, wenn er runtergemacht oder provoziert wird. Er hasst Frauen. Das
sagt meine Mutter jedenfalls.«
Louise hob dramatisch die schwarz umrandeten Augen. Rebekka sah sie
ernst an.
»Wie oft hat er Sie geschlagen?«
Louise drückte ihre Zigarette aus, während sie den Kopf schüttelte.
»Das war das erste Mal, dass er mich richtig geschlagen hat. Er hat
mich manchmal hart am Arm gepackt und geschüttelt.«
Etwas Glut glomm noch immer im Aschenbecher, und grauer Rauch stieg
wie eine Schlange zwischen ihnen auf.
»Hat er Sie jemals mit Gegenständen geschlagen: Gürtel, Bügel …«
Louise lachte hohl.
»Nee. Das würde er nie tun. Er hielt jeden für einen Jammerlappen,
der mit etwas anderem als mit den bloßen Fäusten zuschlug. Er trägt kein Messer
oder so. Die bloßen Fäuste, das passt zu ihm.«
Louise spielte mit ihrem Plastikbecher, der laut knackte, als er
kaputtging. Etwas Wasser sickerte heraus und bildete eine kleine Pfütze auf dem
abgenutzten Holztisch.
»Das Einzige, das ihn weich werden ließ, waren Kinder. Er war total
vernarrt in seine kleine Schwester. Er war nie sauer, wenn er auf sie aufpassen
musste. Er konnte verdammt gut mit Kindern. Merkwürdig, nicht?« Sie sah sie
beide an und fuhr fort: »Ich meine, er macht ja nicht gerade solch einen
Eindruck. Aber mit Kindern hat er sich sicher gefühlt.« Dann zündete sie sich
noch eine Zigarette an.
—
Jane wechselte ihre Bluse,
sobald sie aus dem Polizeipräsidium wieder zu Hause war. Das Verhör hatte sie
als äußerst unangenehm empfunden. Genau wie damals. Bei der Erinnerung wurde
ihr schwarz vor Augen, und sie griff nach dem Rand der Spüle, um sich an etwas
Stabilem festzuhalten. Dann tupfte sie sich kaltes Wasser auf die Wangen und
zog die schmalen, blutleeren Lippen mit einem perlmuttfarbenen Lippenstift
nach.
John war wie üblich in die Kirche
hinübergegangen. Er nutzte jede freie Minute für die Restaurierung. Es war ein
Riesenprojekt, das er in die Wege geleitet hatte, aber er war ein Mann mit
Visionen und überzeugt, dass es seine Lebensaufgabe war, die Einwohner der
Stadt in einem Gotteshaus zu sammeln.
Jane bebte vor Stolz. Ursprünglich war es der Traum ihres Vaters
gewesen, eine eigene Kirche zu gründen, aber es war bei dem Wunsch geblieben,
bis er John begegnet war, einem seiner Konfirmanden. John hatte bereits damals
Intelligenz, Charme und Mut besessen, und der Vater hatte ihn oft zu einem
Gespräch oder einem Abendessen ins Pfarrhaus eingeladen. Jane hatte den jungen
Mann aus Schüchternheit kaum anzusehen gewagt und sich in seiner Gegenwart
furchtbar ungeschickt und fehl am Platz gefühlt. Einmal war ihr die Sauciere
runtergefallen und dicke braune Soße war auf die tapezierten Wände gespritzt,
ein anderes Mal war es die Schüssel mit Pudding gewesen. Sie erinnerte sich an
die harten Worte ihrer Mutter und die Scham, als sie auf den Knien alles
aufgewischt hatte. Sie war Johns Blick begegnet. Er hatte ihr sein herzliches
Lächeln geschenkt, das sie noch monatelang gewärmt hatte. Ihr Vater sorgte
dafür, dass John aufs Gymnasium kam, obwohl seine alleinerziehende Mutter
andere Pläne mit ihm gehabt hatte. Sie waren in dieselbe Klasse gekommen,
ungeachtet
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