Vergeltung
sich hinein.
Michael sah ihr dabei zu und musste schmunzeln. Sie musste auch lachen und
dieses herzliche Lachen löste die Spannung zwischen ihnen. Mit Kuchen bewaffnet,
hatte Michael vor ein paar Minuten an ihre Bürotür geklopft.
»Sie haben Alex Pedersen auf freien
Fuß gesetzt.« Michael sah Rebekka an, die sich mit dem Handrücken den Mund
abwischte. Sie nickte.
»Ich hatte nicht wirklich eine Wahl. Wir haben nichts, das ihn mit
dem Verbrechen in Verbindung bringt. Ich konnte ihn nicht länger festhalten. Darüber
hinaus glaube ich an seine Unschuld. Er ist ein unsympathischer Gewalttäter,
aber das macht ihn nicht notgedrungen zu einem kaltblütigen Mörder.«
»Da gebe ich Ihnen recht.« Michael wippte auf seinem Stuhl langsam
vor und zurück.
Sie schwiegen einige Minuten, während sie die Aussicht über den
Fjord genossen. Dann erzählte ihm Rebekka, dass Egon sie aufgesucht hatte, weil
er sich Sorgen um Kenneth Mathiesen machte.
»Wir müssen den Jungen noch einmal befragen, und zwar allein, um ihn
zum Reden zu bringen.«
»Ich bin mir sicher, dass Jane und John Mathiesen alles tun werden,
um sich einem weiteren Verhör zu widersetzen. Wir kommen auch nicht um einen Repräsentanten
der Gemeinde herum. Der Junge hat nun einmal das Downsyndrom.«
»Darüber bin ich mir völlig im Klaren«, unterbrach ihn Rebekka.
»Aber wir könnten es mit einem kleinen, informellen Gespräch versuchen, ohne
den ganzen Apparat anzuwerfen.« Sie erzählte von ihrem Abstecher in den Wald
und dem pfeifenden Kristian Mathiesen. Michael runzelte besorgt die Stirn.
»Es kann gut sein, dass der Weg durch den Wald eine Abkürzung für
ihn ist, aber ich finde es trotzdem seltsam, dass er pfeifend an dem Ort
vorbeigeht, an dem seine ›Schwägerin‹ ermordet wurde. Wir müssen noch einmal
mit ihm reden, ihn gründlich durchchecken. Sein Alibi muss überprüft werden,
und ich würde mir gern seine Wohnung ansehen. Ich denke, ich werde ihm unangemeldet
einen Besuch abstatten.«
»Das klingt nicht gut«, stimmte Michael zu. »Ich habe auch das
Gefühl, dass es etwas bringen könnte, wenn wir sein sogenanntes christliches Leben einmal unter die Lupe nehmen.«
»Wissen Sie etwas über die Familie Mathiesen? Sind sie irgendwie
schon einmal auffällig geworden?«, fragte sie. Michael schüttelte den Kopf.
»Wir haben es mit einer ordentlichen, respektablen Familie zu tun.
Man kann John Mathiesen durchaus als den neuen Messias der Stadt bezeichnen. Er
hat vor ein paar Jahren mit der Inneren Mission gebrochen und sich entschieden,
eine eigene Freikirche zu gründen. Eine mutige Tat, das muss man ihm lassen,
die Stadt ist als Hochburg der Inneren Mission bekannt. Sein Schwiegervater hat
ihm natürlich Rückendeckung gegeben, aber trotzdem. Ich habe Gerüchte gehört,
dass die Gemeinde sich nach außen hin offen und modern gibt, aber in
Wirklichkeit viele der strengen Regeln der Inneren Mission befolgt, nur mit
etwas Gesang, Tanz und Zungenrede gewürzt. Aber John Mathiesen ist charmant,
und es besteht kein Zweifel, dass er viele Mitglieder anzieht und vermutlich
noch mehr anziehen wird, wenn in einem Monat die neue Kirche fertig ist.«
Rebekka dachte nach.
»Wie nehmen die kirchlichen Kreise John Mathiesens Erfolg auf? Ich
könnte mir vorstellen, dass sie ihn aus Missgunst schlechtmachen.«
Ȇber die Jahre hat es einiges an Kritik an ihm und seiner Kirche
gegeben. Vor einigen Jahren haben sich ein paar frühere Mitglieder an die
Presse gewandt und von einem diktatorischen Leiter mit einem eisernen Willen
berichtet. Den Beschuldigungen zufolge soll er die Gemeinde mit harter Hand
führen und bei den kleinsten Vergehen mit der Hölle und dem Jüngsten Gericht
drohen.« Michael kratzte sich nachdenklich den blonden Haarschopf. »Wie gesagt
hat John Mathiesen viele Anhänger. Seine größte Bewunderin ist seine Frau. Sie
steht zu ihm, egal, was passiert, ist sein absoluter Fan und unterstützt seine
diversen Aktivitäten. Sie ist der Typ, der immer für irgendeinen Basar einen
Kuchen backt oder hundert Schals für die armen Kinder in Afrika strickt, wozu
auch immer. Sie scheint sich unter seinem diktatorischen Führungsstil
wohlzufühlen, falls an den Vorwürfen etwas dran ist. Aber Jane Mathiesen kennt
auch nichts anderes. Sie ist die Tochter des alten Pfarrers, Knud Bækkegaard.
Erinnern Sie sich aus Ihrer Kindheit an ihn?«
Rebekka nickte. Sie sah Knud Bækkegaard vor sich. Groß und kräftig,
mit buschigen Augenbrauen und einer
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