Vergeltung
undefinierbare Flecken aufwies. Essen oder möglicherweise Katzenkot?
Rebekka wäre am liebsten stehen geblieben. Michael nahm auf der Sofakante Platz
und blickte Doris Pedersen ernst an, die den Blick niederschlug und sich auf
ihre Zigarette konzentrierte.
»Wissen Sie, warum wir hier sind?«
»Natürlich weiß ich das, ich gucke schließlich Nachrichten.«
»Die Angelegenheit ist wirklich ernst. Eine ältere Frau ist tot und
ihr Ehemann schwer verletzt. Es handelt sich um Herrn und Frau Larsson, bei
denen Ihr Sohn zur Miete wohnt.«
Doris Pedersen nickte nur und Rebekka, die sich ebenfalls hingesetzt
hatte, übernahm.
»Wann haben Sie Alex das letzte Mal gesehen?« Rebekka merkte, wie
etwas an ihrer Jeans festklebte, und rückte ein paar Zentimeter weiter in
Michaels Richtung.
»Das ist lange her, mehrere Monate. Wir sprechen nicht miteinander,
Alex und ich.«
»Warum nicht?« Rebekka sah die Frau durch den grauen wabernden
Zigarettenrauch freundlich an.
»Warum? Weil er das Letzte ist. Genau wie sein Vater.« Doris
Pedersens Lungen pfiffen bedrohlich.
»Wer ist Alex’ Vater?«
Doris Pedersen verzog das Gesicht zu einer höhnischen Grimasse.
»Ein Arschloch. Ein Riesenidiot. Wir waren kurz zusammen, und dann
bin ich schwanger geworden, und da ist er abgehauen. Gerade als das Kind kam.
Einfach so. Ohne ein Wort. Hat mich mit allem sitzen gelassen. Ich wollte doch
allein kein Kind. Aber was sollte ich machen?« Sie schnaubte laut. »Ich hatte
gehofft, dass Denis, also der Vater, wiederauftaucht, aber das ist er nicht.
Also habe ich Alex, so gut ich konnte, allein großgezogen. Aber er war nie
zufrieden, und als er ins Teenageralter kam, ist alles aus dem Ruder gelaufen.
Wir sind ein paarmal aufeinander losgegangen, so heftig war das.« Doris Pedersen
schnaubte vor Wut. »Er kann so hitzig sein. Da brauchen Sie nur seine Exfreundin,
Louise, zu fragen, die hat sein Temperament auch zu spüren bekommen.« Doris
Pedersen lachte leise. »Aber die hat die Tracht Prügel auch wirklich verdient.
Sie ist weiß Gott kein Unschuldslamm.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Rebekka.
»Haben Sie die mal gesehen? Die sieht doch aus wie eine Nutte.«
Doris Pedersen zog eine Grimasse.
»Sie hat Alex an der Nase herumgeführt und die ganze Zeit
scharfgemacht. Absichtlich.«
»Alex ist verschwunden. Haben Sie eine Idee, wo er sich verstecken
könnte?«
Alex’ Mutter schüttelte den Kopf.
»Nee. Alex ist meistens für sich geblieben.«
»Kann er bei jemandem aus der Familie sein?«
»Wir haben keine Familie. Es gibt nur ihn und mich.« Sie drückte die
Zigarette in einem großen Aschenbecher aus, der vor Zigarettenstummeln überquoll.
Rebekka beugte sich in dem Versuch zu ihr vor, eine Vertrautheit aufzubauen.
»Wir möchten Alex gerne helfen. Die Sache ist die, dass in seiner
Wohnung ein Gegenstand gefunden wurde, der höchstwahrscheinlich mit dem Mord an
Anna Gudbergsen in Verbindung gebracht werden kann.«
Doris Pedersen zuckte zusammen und atmete schwer in ihrem Lehnstuhl.
»Mit dem Mord hat er nichts zu tun.« Ihre Stimme war hart wie ein
Peitschenschlag, und sie beugte sich mühsam vor und zündete sich eine weitere
Zigarette an. Dann brach sie unvermittelt in Gelächter aus.
Rebekka und Michael starrten sie verwundert an.
»Ich verstehe nicht, was es da zu lachen gibt«, sagte Rebekka und
spürte ihr Herz heftiger schlagen.
Doris Pedersen sah sie mit festem Blick an.
»Ich lache nicht über den Mord an Anna Gudbergsen. Ich lache, weil
Sie den Falschen jagen. Alex ist zwar ein frecher Lümmel und in vielen Punkten
ein Riesenidiot. Und er kann hitzig werden und zuschlagen, aber er ist kein
Mörder. Absolut nicht. Ganz im Gegenteil, er ist ein riesengroßer
Schlappschwanz im Körper eines starken Mannes. Ich kenne ihn, das können Sie
mir glauben, er kann nicht einmal eine Fliege totschlagen.«
Als Rebekka und Michael wenig später die abblätternde Tür hinter
sich schlossen, hörten sie, wie Doris Pedersen erneut in ein lautes Lachen
ausbrach, das von einem heftigen Hustenanfall abgelöst wurde. Sie sahen sich
finster an und gingen zum Auto.
—
Der Strand in Hvide Sande
lag völlig verlassen da. Die Touristensaison war eindeutig vorbei.
Alex humpelte am Wasser entlang, wo
kleine Wellen mit einem beruhigenden Plätschern ans Ufer schlugen. Der Fuß tat
weh, obwohl er ein großes Stück von seinem T-Shirt abgerissen und einen notdürftigen
Verband angelegt hatte. Er ging vornübergebeugt, die Kapuze
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