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Vergeltung

Vergeltung

Titel: Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Hastrup
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feucht waren. Er war behände und stieg
blitzschnell oben auf die nächste Holzbohle. Sie kletterte hinter ihm her und
nahm den Duft seines Aftershaves wahr. Es amüsierte sie, dass er – Pfarrer
einer Freikirche – so eitel war.
    Kurz darauf standen sie auf einer wackligen Holzplanke, und John
Mathiesen zeigte auf eine kleine Metallleiter, die an das Gerüst montiert war.
    »Jetzt müssen wir nur doch da hochklettern.«
    »Nein, nein, das ist nicht nötig«, antwortete sie und bemühte sich,
nicht nervös zu klingen.
    »Sie sollen doch nicht um die herrliche Aussicht gebracht werden.«
    John Mathiesen schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, das die Augen
jedoch nicht erreichte, und sie verstand, dass er ein Mann war, der nur selten
ein Nein zu hören bekam.
    Sie kroch die Leiter hinauf, während sie gleichzeitig mit Ärger und
Angst kämpfte.
    »Ich bin direkt hinter Ihnen«, sagte er, und sie spürte die Wärme
seines Körpers und fühlte sich seltsam verunsichert. Das Gerüst schaukelte
schwach unter ihrem Gewicht, während sie die Leiter hinaufkletterten. Sie blieb
stehen und drehte sich zu ihm um.
    »Das Gerüst ist nicht sicher genug. Es wackelt die ganze Zeit. Es
ist schließlich auch noch nicht fertig montiert«, sagte sie und zeigte mit
einer Hand auf die lockeren Befestigungen, während sie sich mit der anderen
krampfhaft an der Leiter festhielt.
    »Das macht nichts. Ich habe die Handwerker oft da oben herumlaufen
sehen. Wir genießen nur kurz die Aussicht, dann klettern wir wieder hinunter.«
    Sie widerstand dem unmittelbaren Impuls, ihm zu befehlen, umzukehren
und sie hinunterzulassen. Dann biss sie die Zähne zusammen und kletterte das
letzte Stück die Leiter hoch. Als sie das obere Ende der Leiter erreicht
hatten, schwankte sie plötzlich heftig, und John Mathiesen lachte laut.
    »Ich muss schon sagen. Das ist ja wie auf der Achterbahn.« Er zog
die kleine Metallleiter mit sich hoch.
    »Wenn man die Leiter hier an den Haken hängt«, er zeigte auf einen
Haken unterhalb der Turmspitze, »und sich weit vorbeugt, kann man
hinausgucken.«
    Rebekka stieß mit der Schuhspitze gegen einen kleinen Stein, der
über den Rand und mit rasender Geschwindigkeit in die Tiefe flog. Sie sah kurz
hinunter und angesichts des Höhenunterschieds wurde ihr augenblicklich
schwindelig. Bis unten mussten es mindestens sieben oder acht Meter sein. Ihr
Herz begann zu rasen, und sie musste sich ein weiteres Mal an die unzähligen
Kletterpartien erinnern, die sie gemeistert hatte, ohne dass etwas passiert
war. Sie schluckte, nahm ihren ganzen Mut zusammen und beugte sich vorsichtig
auf der Leiter vor. Die Leiter gab mit einem leisen knarrenden Geräusch nach.
Sie merkte, dass sie zitterte.
    »Ich halte Sie schon fest.« John Mathiesen sprach leise,
vertraulich, als wären sie alte Freunde, die zusammen auf einer gefährlichen
Mission waren.
    Sie spürte die Wut in sich aufsteigen. Wie hatte sie nur in diese
blöde Situation kommen können? Es ärgerte sie, dass John Mathiesen mitbekam,
wie unsicher sie war. Sie würde ihm schon noch zeigen, dass sie nicht leicht zu
erschrecken war. Sie beugte sich vor und eine schöne Aussicht auf die Dächer
der Stadt und den blauen Fjord tat sich vor ihr auf. Dann hörte sie ein lautes
Knacken, und die Leiter verschwand unter ihr. Sie fiel mit einem heiseren
Schrei jäh nach unten, bis sie einen kräftigen Ruck in ihrem Körper spürte.
John Mathiesen hatte sie auf das Gerüst gezogen. Sie hörte die Leiter mit einem
dumpfen Knall tief unten auf den Boden aufschlagen.
    »Das war verdammt knapp.« Seine Stimme war dicht neben ihrem Ohr,
und sie wollte ihm antworten, konnte aber nicht. Sie bekam keine Luft und
spürte, dass sie heftig zitterte. Krampfhaft hielt sie sich an dem Gerüst fest,
so fest, als wollte sie es nie mehr loslassen.
    »Das tut mir wirklich leid. Ich bin mehrmals hier oben gewesen, ohne
dass etwas passiert ist.« Er reichte ihr die Hand und half ihr in eine sitzende
Position. »Wir sollten besser wieder hinuntergehen, sonst wundern sich die
anderen noch, wo wir bleiben. Ich hoffe, dass Sie zumindest etwas von der
Aussicht mitbekommen haben.«
    Er half ihr hinunter und langsam gewann sie ihre Fassung zurück. Sie
spürte die Erleichterung durch ihren Körper pulsieren, als sie wieder festen
Boden unter den Füßen hatte.
    »Sie müssen augenblicklich für die nötige Sicherheit sorgen. Niemand
darf mehr dort hinauf«, sagte sie und sah ihn mit festem Blick an.
    Er nickte

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