Vergeltung
unauffällig verhalten, als er bezahlt
hatte. Die alte Verkäuferin hatte ihn kaum eines Blicks gewürdigt, was ihn normalerweise
provoziert hätte, doch in dieser Situation war es nur gut gewesen. Toastbrot,
Nutella, Cola und Zigaretten. Alex holte eine alte Tasse aus dem Küchenschrank
und goss die sprudelnde braune Flüssigkeit ein. Er humpelte ins Wohnzimmer,
ließ sich auf das unbequeme Sofa fallen und legte das Bein auf einen kaputten
Hocker. Der Fuß pochte heftig, und er zog vorsichtig den Schuh aus, um sich die
Wunde anzusehen. Der nasse Verband glitt mit dem Schuh vom Fuß, und er sah,
dass der Fuß geschwollen und rot war. Er drehte ihn vorsichtig. Die Wunde war
völlig vereitert. Sie hatte sich bestimmt entzündet. Alex humpelte in die
kleine Küche und holte eine alte Schüssel unter dem Spülbecken hervor. Er
kochte Wasser in einem Topf. In der Toilette fand er ein kleines Stückchen
schmutziger Seife. Er ließ die Seife in das warme Wasser gleiten, ging mit der
Schüssel zurück ins Wohnzimmer und stellte den Fuß vorsichtig in das
Seifenwasser. Es brannte, und er stöhnte leise. Dann spürte er die Müdigkeit,
schloss die Augen und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
—
Rebekka freute sich, wie
hübsch die Fassade des alten Bürgerhauses sich ausmachen würde, wenn die Restaurierung
erst fertig war. John Mathiesen schien das schöne, alte Gebäude offenbar auch
zu schätzen, dachte sie und betrachtete den Giebel, dessen mit Glasmosaiken
verziertes Fenster gut und gern zehn Meter hoch war. Das Fenster war intakt,
genau wie in Rebekkas Kindheit, und das Licht spiegelte sich in dem bunten
Glas.
Sie ist knapp
neun Jahre alt und hat bei der jährlichen Tanzabschlussveranstaltung völlig
unerwartet die begehrte Trophäe »Tänzerin des Jahres« gewonnen. Da steht sie
nun vor der verschlossenen Tür zum Schlafzimmer ihrer Eltern und klopft, voller
Freude, weil sie der Mutter den Preis zeigen will. Die Mutter öffnet nicht. Sie
haben eine Auseinandersetzung gehabt, was für ein Kleid Rebekka bei der
Abschlussveranstaltung tragen soll. Rebekka wollte gerne einen modernen
Zipfelrock, die Mutter zieht ein traditionelles Tanzkleid aus Tüll vor. Sie
diskutieren mehrere Tage darüber, bis zu dem großen Tag. »In so einem Rock
wirst du billig aussehen«, sagt die Mutter, aber Rebekka besteht darauf. Die
modebewussten Mädchen in ihrer Gruppe, Helle und Rikke, werden auch Röcke
tragen. Normalerweise beugt sich Rebekka der Tyrannei der Mutter, doch diesmal
hält sie tapfer an ihrem Wunsch fest. Die Mutter ist bis zu dem Tanzturnier
mehrere Tage stumm und zugeknöpft, und mehrmals gibt Rebekka fast nach. Aber
sie glaubt bis zuletzt, dass die Mutter zu der Aufführung kommen wird. Doch die
Mutter kommt nicht. Und obwohl der Vater und Robin in einer der vordersten
Reihen sitzen und sie anspornen, ist es nicht das Gleiche.
Und dann passiert das
Unglaubliche, und Rebekka wird zur Tänzerin des Jahres gekürt. Sie rennt nach
Hause zu dem kleinen Reihenhaus, um der Mutter stolz die Trophäe zu zeigen.
Rebekka klopft lange an die Tür. Und ruft durch das Schlüsselloch nach der
Mutter. Die Mutter antwortet nicht.
Es vergehen mehrere Tage,
bis sie wieder mit Rebekka spricht. Und die großartige vergoldete Trophäe, die
im Zimmer der Tochter so schön glänzt, erwähnt sie nie.
Obwohl es später
Nachmittag war, wimmelte es nur so von Handwerkern. Ein Zementmischer drehte
sich lautstark, und Rebekka sah zwei Zimmerleute die alten Fenster reparieren.
Sie stieg die breite Steintreppe zu
der großen Eingangstür hoch und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. Die
Tür glitt auf und gab den Blick auf den Saal frei, der genauso aussah, wie
Rebekka ihn in Erinnerung hatte. Mit dem glatten Boden aus schwarzem Marmor und
den Holzschnitzereien an der Galerie, die an den Saalwänden entlanglief.
Rebekka erinnerte sich, wie die Familie da oben gestanden und ihr bei
verschiedenen Tanzvorführungen zugesehen hatte. Es war offensichtlich, dass der
Saal in ein Gemeindehaus verwandelt wurde. Vor dem Mosaikfenster stand ein mehrere
Meter hohes vergoldetes Kreuz, an das zwei Handwerker gerade einen leidenden
Jesus montierten. Sie nickten ihr kurz zu, und sie beobachtete einige Minuten
ihre Bemühungen, während sie die Hand über die kühle Oberfläche des Taufbeckens
gleiten ließ.
»Es wird schön, nicht?« Rebekka fuhr zusammen, als sie eine Stimme
direkt hinter sich hörte, drehte sich um und sah John Mathiesen
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