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Vergeltung am Degerloch

Vergeltung am Degerloch

Titel: Vergeltung am Degerloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Sally es mir kolportiert hatte. »Oder sind Sie kein Mann?«, fragte ich.
    Krk kniff die großen Augen zusammen.
    Ich war ans Lenkrad gefesselt, an den Verkehr gebunden. Meine physischen Reaktionsmöglichkeiten waren beschränkt. Aber auch Krk wollte ja nicht im Straßenverkehr sterben. Also mussten wir da durch.
    »Nehmen wir an«, sagte er, »Gabi hat einen jungen Mann ermordet, weil sie früher mal vergewaltigt worden ist. Das verstehe ich …«
    »Das können auch nur Sie zu verstehen glauben, weil Sie wie ein Mann denken. Eine Frau tötet ihren Vergewaltiger nicht. Sie fürchtet ihn. Sie hofft auf Liebe statt Gewalt. Das ist wie mit dem geprügelten Hund, der seinem Herrn die Hände ableckt. Rache, das passt nicht. Nein, wenn Gabi den Bub getötet hat, dann in Notwehr. Und nun sieht sie sich als Mörderin, weil sie nicht damit fertig wird, gegen einen Herrn der Schöpfung die Hand erhoben zu haben. Das erscheint ihr als unverzeihliche Sünde.«
    Krk keuchte. Trotz des Zuges im Auto stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Das konnte nicht nur mit meiner Fahrweise zusammenhängen. »Menschen sind so schnell abgeurteilt«, sagte er. »Heutzutage fühlt sich eine Frau schon vergewaltigt, wenn der Mann die Einladung zum Sex annimmt. Natürlich haben Frauen das Recht, Nein zu sagen. Aber nicht jedes Nein ist auch so gemeint. Und wenn man sie dann in ihrem Nein schmoren lässt, ist sie gekränkt und hängt einem eine Unsittlichkeit an …«
    Genau das würde Petra mit mir tun, wenn sie Zilla beichtete.
    »Sie sprechen wohl aus Erfahrung?«, erkundigte ich mich. »Aber Sie sind doch freigesprochen worden. Oder nicht?«
    Er schnaubte. »Sie haben doch keine Ahnung!«
    »Dann klären Sie mich auf.«
    Krk schüttelte den Kopf und starrte durch die Frontscheibe. »Das verstehen Sie nie.«
    Der Verkehr spülte uns über den Schillerplatz auf die Möhringer Landstraße, die in Möhringen zur Vaihinger Landstraße wurde.
    »Jedenfalls«, sagte ich, als wir auf den Fernsehturm zuhielten, »es muss eine Frauenleiche her.«
     

11
     
    Auf meinem Schreibtisch lag die Einladung der Stuttgarter Frauenbeauftragten zu einer Information über die Arbeit mit verurteilten Vergewaltigern. Marie hatte mir das hingelegt, weil ich ja gerade mit diesen Dingen beschäftigt war, wie sie meinte. Ihre feinsinnige Pädagogik machte mich kribbelig, als hätte ich mich eine Woche lang nicht gewaschen. Überdies hatte ich das Wochenende mit Sally zu viel gesoffen und geraucht. Sally wurde immer dann aktiv und aushäusig, wenn sie sich in einen Mann verliebt hatte, dem sie nun unter keinen Umständen begegnen wollte. Da sie seinen verliebten Anruf fürchtete, musste sie raus. Und da sie nie etwas allein machte, musste ich her, um sie zu begleiten. Dann galt es, diverse Freundinnen zu besuchen, bei denen man herumhing und über Männer im Allgemeinen und den einen, in den Sally sich verguckt hatte, im Besonderen zu reden. Sally näherte sich der Idee, mit dem Kerl ins Bett zu steigen, indem sie zunächst Diätpläne entwarf. Bevor es so weit war, musste sie mindestens fünf Kilo abnehmen. Da sie darin nicht sehr konsequent war, kam es nie so weit. Aber die Motorradtour mit ihm an den Bodensee, die konnte schon mal angedacht werden.
    Wenn ich ins Rathaus musste, fuhr ich, egal wo die Pressekonferenz stattfand, immer erst einmal mit dem Paternoster. Wenn der Fahrstuhl oben herumknirschte, dachte ich an Dr. Murkes gesammeltes Schweigen, Bölls Geschichte über die unschuldige Welt aus Kirchenfunkzeiten. Im kirschholzgetäfelten Konferenzsaal standen Inseln aus Getränkeflaschen und Gläsern auf den Tischen. Einige Leute saßen schon da. Ein SDR-Mikrophon stand am mutmaßlichen Platz der Rednerinnen. Den Mann von dpa kannte ich. Reuters hatte keinen Korrespondenten geschickt. Der Alte vom Esslinger Boten bereitete sich innerlich auf seine Frage vor, die wieder niemand verstehen würde, weil er so leise sprach. Krk brütete über der Pressemappe.
    Die Frauenbeauftragte kam in Begleitung zweier Frauen. Es ging um ein Programm für verurteilte Vergewaltiger, das auch den Opfern irgendwie nutzen sollte. In Therapiegruppen wurden die Täter mit Opfern konfrontiert, die ihnen erzählten, dass die Tat ihr Leben zerstört habe. Die Pressemappe und die Rednerinnen wiesen das Projekt als erfolgreich aus. Es wurden Vergewaltiger zitiert, die eingesehen haben wollten, dass sie den Frauen Entsetzliches angetan hatten, weil sie deren erklärten Willen ignorierten. Das

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