Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

»Leuchtkäfer«. Eine Art Lichthupe, ungefähr so groß wie ein Päckchen Kaugummis, die drei Infrarot-Diodencirca achtzig Mal pro Sekunde aufblinken lässt. Mit bloßem Auge ist das Signal nicht erkennbar, kann nur durch das Nachtsichtgerät wahrgenommen werden.
    Dave sieht den Leuchtkäfer.
    Und hofft, dass auch Ulrich ihn sieht.

    Das tut er.
    Er sieht das Signal und grinst.
    Dann richtet er den Laser auf den Sprengsatz und zündet.
    Der Sprengsatz explodiert und entzündet das C8.
    Jetzt kommt es zur Detonation.
    Die Druckwelle lässt das Metall des Bohrturms vibrieren. Einen Augenblick lang bebt das Gerüst, dann stürzt es ein, wobei der Bohrkopf abbricht und das Erdgas der nun folgenden Erschütterung aussetzt.
    Es geht hoch.
    Eine riesige grelle Flammensäule reißt ein Loch in den Nachthimmel und lässt die dunkle, zerklüftete Landschaft hell aufleuchten. Es regnet Feuer, der Himmel bricht auf. Orangefarbene Flammen züngeln an den Wolken, machen die Nacht zum Tag. Sie sprenkeln das Firmament wie ein Sternschnuppenschwarm.
    Wie fallende Engel.
    Dann explodieren die Gastanks.
    Dave sieht, wie sich ein Flammenberg auftürmt.
    Ein von Menschenhand geschaffener Vulkan.
    Die nächsten Explosionen erschüttern den Boden unter seinen Füßen.
    Ein Erdbeben.
    Er hat keinerlei Zweifel daran, dass von Aziz’ Einkommensquelle nichts mehr übrig ist. Die Förderanlage ist zerstört. Unterirdisch wird das Feuer über Monate hinweg schwelen.
    Phase eins – erfolgreich ausgeführt.
    Er sieht die Männer unten aus den Zelten eilen und in westlicher Richtung zum Himmel aufschauen, der jetzt orange, pink und rot erstrahlt. Tumult, Chaos, dann gebrüllte Befehle, die Offiziere setzen sich in Bewegung, reagieren.
    Die Männer laufen in die Zelte zurück, holen Waffen, kommen hauptsächlich mit Kalaschnikows und vereinzelt auch mit Glocks wieder raus. Sie springen auf die Pritschenwagen und in die Schützenpanzerwagen. Fünf Minuten später haben sie das Lager verlassen.
    Die Versuchung ist groß, die Schützenpanzerwagen mit Raketen abzuschießen und Dutzende von Tangos auf einen Schlag zu töten, aber der Plan sieht etwas anderes vor.
    Sie haben einige Dutzend Männer zurückgelassen.
    Zeit für Phase zwei, denkt Dave.
    Er legt seine MP5 an und wartet auf Donovans Signal.
    Ulrich zieht eine Pop-Tart mit Zimtgeschmack aus dem Rucksack, kaut genüsslich und bestaunt das teuerste Feuerwerk der Welt.
    Beeindruckend.
    Die Explosion der Grasberg-Erdgasförderanlage ist aus dem Weltraum zu sehen.
    Dana Wendelin guckt über Satellit zu.
    Major David Collins, denkt er.
    Bravo Zulu.
    Gut gemacht.
    Wendelin gönnt sich außerdem einen schwelgerischen Moment und gratuliert sich selbst. Ganz schön schlau, den Mossad-Agenten das C8 zu besorgen, damit sie’s an Donovans Lieblings-Israeli weiterleiten.
    Aber ein kurzer Augenblick der Freude genügt, denkt Wendelin. Ein wichtiges Ziel ist zerstört – die Quelle von Yusufs Reichtum –, aber es ist nur eins von dreien. Bleiben das Ausbildungslager und das wichtigste Ziel überhaupt.
    Aziz und das BoNT.
    Er wendet sich an Palmer. »Was haben wir herausgefunden?«
    »Nur Widersprüchliches.«
    »Widersprüchliches kann ich nicht gebrauchen«, fährt Wendelin ihn an.
    »Was wir sicher wissen?«, fragt Palmer. »Collins’ Team ist vor Ort und in Aktion.«
    Gut so, denkt Wendelin.
    Schnappt euch Aziz, bevor es zu spät ist.
    Ein Beben reißt Abdullah Aziz aus dem Tiefschlaf.
    Zunächst hält er es für einen Alptraum, oder eine der Panikattacken, unter denen er seit Lamu und Barcelona leidet – seitdem er erfahren hat, dass Collins hinter ihm her ist.
    Baseyew wurde vom Hoteldach geworfen.
    Entsetzlich verprügelt und anschließend vom Dach geworfen.
    Wie ein Stück Dreck.
    Seitdem träumt Aziz, er würde fallen. Manchmal rücklings mit Blick gen Himmel; manchmal mit dem Gesicht voran, dann starrt er dem unnachgiebigen Boden entgegen, wartetentsetzliche Sekunden lang, bis er auf den Asphalt klatscht, zermatscht, zer…
    Aber er wacht immer vorher auf. Man sagt, wenn man im Traum stirbt, stirbt man auch im wahren Leben, und deshalb weckt ihn sein Gehirn, aber die Träume sind grauenhaft. Jetzt begreift er, dass er sich in einem Bunker befindet, in Sicherheit. Seine Atmung normalisiert sich, und er will wieder einschlafen.
    Aber irgendetwas stimmt nicht.
    Er hört Stimmen.
    Aufgeregte Stimmen.
    Aziz steht auf, macht Licht und will sich gerade Hemd und Hose überziehen, als es an der Tür