Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Flammen und Splitter. Die wenigen Überlebenden torkeln als menschliche Fackeln heraus, versuchen verzweifelt, die Flammen zu ersticken, indem sie sich fallen lassen oder auf der Erde wälzen.
    Das Maschinengewehrfeuer macht ihrem Leiden ein Ende.
    Lev späht durch das Laservisier seines XM25 und sucht die Kantine, in der eine Gruppe von Tangos Zuflucht gesucht hat.
    Der XM25 ist reine Science-fiction. Mit den lasergelenkten smart-bullets – jede der 25mm-Granaten besitzt zwei Sprengköpfe mit jeweils mehr Wumms als eine 40mm-Granate. Der Laserentfernungsmesser – LEM – bestimmt den Abstand zum Ziel, gibt die Information an einen in jeder Granate eingebauten Microchip weiter und legt damit fest, wie weit die Granate vor ihrer Detonation fliegen muss.
    Im Prinzip ein Luftangriff.
    Der LEM misst die Entfernung, und Lev feuert die »intelligente« Granate ab. Der erste Sprengkopf durchdringt das Mauerwerk und reisst ein Loch hinein. Der zweite fliegt durch und explodiert im Gebäude.
    Lev schießt noch mal.
    Die wenigen überlebenden Tangos werden von Granat-und Holz-Splittern getroffen und verwundet, sie kriechen hinaus, bluten aus Nasen und Ohren. Einige fallen mit dem Gesicht voran zu Boden, andere heben die Hände, um sich zu ergeben.
    Aber in diesem Krieg werden keine Gefangenen gemacht.
    Die Maschinengewehre mähen alle nieder.
    Es kommt zu einem kurzen Augenblick der Stille, unterbrochen nur von den Schreien der Verwundeten und dem Knistern der Flammen in den brennenden Gebäuden. Dann hört Dave das Geknatter kleiner Waffen, um ihn herum schlagen Kugeln in die Baumstämme ein.
    Donovan ist mit einem M32 MGL bewaffnet, der in drei Sekunden bis zu sechs 40mm-Granaten und eine ganze Bandbreite unterschiedlicher Munitionsarten verschießt, darunter auch die für das Gelingen der Mission entscheidende HUNTIR – High Altitude Unit Navigated Tactical Imaging Round . Diese schießt zunächst eine kleine Infrarot-CMOS-Kamera an einem Fallschirm ab, die Donovan bis zu sieben Minuten Videomaterial auf den Laptop sendet.
    »Ich bin ein New-Age-Typ«, hatte Donovan gesagt, als er sich für die Waffe entschied, »und das ist eine New-Age-Waffe.«
    Jetzt feuert Donovan eine HUNTIR-Granate aus seinem M32 ab. Sie rast in einem Bogen über das Lager, der kleine Fallschirm öffnet sich, und die CMOS-Kamera sendet Donovan Luftaufnahmen auf sein iPad. Er sieht Leichen und Verwundete, dann entdeckt er, wonach er gesucht hat. Das kleinkalibrige Feuer kommt von einer Baumreihe hinten im Lager. Einleuchtend – genau dort würde die Infanterie Deckung suchen.
    Ganz eindeutig führt hier ein erfahrener Mudschahed das Kommando und hat bereits begonnen, die Verteidigung zu organisieren.
    Donovan hängt sich ans Funknetz. »Bravo?«
    »Hier Bravo«, meldet sich Michel.
    »Kannst du eine PPHE in die Baumreihe ganz hinten schicken?«
    Willem lädt die hochexplosive luftdetonationsfähige Granate in seinen MK47 und visiert die Baumreihe an. Nachdem er den Abstand bestimmt hat, schickt er die Information an Michel, der das Fadenkreuz ausrichtet und schießt.
    Die Granate explodiert circa fünf Meter über den Tangos in den Bäumen und jagt tausende Granatsplitter in die Gruppe. Was ein Zufluchtsort hätte sein sollen, entpuppt sich als Todesfalle, als Killerzone, und das kleinkalibrige Feuer verstummt.
    Ich habe die Zukunft gesehen, denkt Dave.
    Das ist die neue Realität – die moderne Kriegführung: eine Handvoll speziell ausgebildeter Männer vernichtet mit technologisch ausgefeilten Waffen in nur wenigen Sekunden Dutzende von Gegnern.
    Ein Hoch auf die Technik.
    Und die Computerisierung.
    Nur dass die Waffen in Zukunft von Robotern bedient werden – und diese wiederum werden von irgendeinem pickligen Jungen in einem Bunker in Nevada gelenkt, der im Keller seiner Mutter zu viele Videospiele gespielt hat.
    »Wir sind Dinosaurier«, denkt Dave.
    Eine gefährdete Spezies.
    Die letzten Soldaten.
    Donovan wartet ein paar Sekunden und betrachtet das hereinkommende Videomaterial. Abgesehen von herumkriechenden Verwundeten, entdeckt er keinerlei Bewegung. Aber er weiß, dass so etwas täuschen kann – möglicherweise verstecken sich immer noch Männer in den Zelten, auch in denBäumen können welche überlebt haben oder auch sonst irgendwo am Rande des Lagers – erst mal bedeckt halten, abwarten, bis sich ein Ziel zeigt.
    Jedenfalls würde ich es so machen, denkt Donovan.
    Trotzdem wird es Zeit reinzugehen.
    »Charlie?«, sagt er über