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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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A und O der Kriegführung im 21. Jahrhundert.
    »Das Gleiche gilt für die Ölscheichs«, erklärt Miriam. »Der arabische Frühling hat ihnen einen Riesenschrecken eingejagt. Wenn Mubarak und Gaddafi gestürzt werden können, wer ist dann als Nächstes dran? Kuwait? Der Jemen? Die Saudis? Und wer weiß, wer gewinnt? Die Gemäßigten oder die Islamisten? Sollten es Letztere sein, braucht man einen Freund mit islamistischer Glaubwürdigkeit, jemanden wie Abdullah Aziz. Also gibt man ihm Geld – sehr viel Geld – als Investition in eine ungewisse Zukunft.
    Und dann sind da noch die tatsächlich Gläubigen, die echten islamistischen Fanatiker, die an den alten Traum der al-Qaida von einem weltweiten arabischen Kalifat glauben. Sie treibt es jetzt in Scharen in Aziz’ Arme, und er wird sie benutzen, so wie er sie für das Attentat auf Flug 211 benutzt hat. Er wird sie aussaugen und wegwerfen. Allem Anschein nach hat Aziz seinen Glauben in den Folterkellern von Al-Jafr verloren. Dort hat er seinen Gott gerufen, aber keine Antwort bekommen. Sein Gott hat ihn benutzt, also benutzt er jetzt seinen Gott. Seine Auffassung vom Islam ist total zynisch.«
    Eine Fassade.
    »Er ist kein religiöser Fanatiker«, sagt Miriam. »Eher ein brutaler Verbrecher, ein Gangster.«
    Das einzige, woran Abdullah Aziz glaubt, ist Abdullah Aziz.
    Und für den wird er alles tun.
    Lügen.
    Töten.
    Ein Flugzeug vollbesetzt mit Unschuldigen vom Himmel schießen.
    »Kennen wir seinen aktuellen Aufenthaltsort?«, fragt Dave.
    Miriam schüttelt den Kopf. »Ich nehme an, irgendwo in der europäischen Union, weil die Grenzen dort durchlässig sind. Aber das ist reine Spekulation.«
    Dave blickt noch einmal in das Gesicht des Mannes, der Jake und Diana ermordet hat.


    Abdullah Aziz betrachtet den Teller mit schwarzem Reis vor sich.
    Der Reis ist mit Sepia gefärbt, das Gericht gilt als eines der vorzüglichsten in ganz Barcelona.
    Er probiert und glaubt, dass was dran sein könnte.
    Im achten Jahrhundert war die Stadt noch arabisch gewesen, Barschalona , erinnert sich Aziz. Das galt für halb Europa, und besser war’s. Vor ihm schaukeln Segelboote sanft im Hafenbecken. Ein für die Jahreszeit milder Tag. Die Sonne scheint, und der Himmel ist blassblau im Übergang zu grau.
    Aziz trägt einen gelbbraunen Leinenanzug mit blauem Hemd, aber ohne Krawatte. Der italienische Anzug hat ihn zweitausend Dollar gekostet, aber Geldsorgen hat Aziz keine mehr. Hassan Dahir, der innerhalb seines Netzwerks die Finanzen kontrolliert, hat ihm versichert, dass zwei kuwaitischeScheichs fünf Millionen Dollar auf eines seiner Nummernkonten überwiesen haben. Und laut Dahir haben weitere angekündigt, ebenfalls Geld schicken zu wollen. Außerdem sind zwei afghanische Opiumhändler vom Haqqani-Netzwerk zu ihm übergelaufen, und aus den Suks in Accra, Riad, Kairo, Marseille, Hamburg und London gehen »Beitragszahlungen« ein.
    Dahir hat ihm die Zahlen erläutert – das Geld wurde so gründlich gewaschen, dass nicht mal die Amerikaner dahinterkommen.
    Aziz’ Netzwerk ist über fünfzig Millionen Dollar wert, Tendenz steigend.
    Gut, denkt Aziz, aber nicht gut genug.
    »Was ist mit Yusuf?«, fragt er. »Haben wir schon was gehört?«
    »Ein Chamäleon verlässt seinen Baum erst, wenn es einen anderen gefunden hat«, sagt Dahir und führt damit ein altes Sprichwort an. »Er ist sich, was uns angeht, immer noch nicht sicher.«
    »Aber kann ich ein Treffen mit ihm bekommen?«, fragt Aziz.
    »Wir arbeiten dran.«
    Yusuf ist die Schlüsselfigur, denkt Aziz.
    Wenn er den alten Scheich für sich gewinnen kann, ist alles möglich. Frustrierend, dass es so lange dauert, aber mit den Qualen in der Zelle von Al-Jafr nicht zu vergleichen.
    Die Narben sind verheilt, aber die Erinnerung ist frisch.
    Er muss nur die Augen schließen, dann fällt ihm wieder ein, was ihm die Verbrecher vom Muchabarat angetan haben. Wie sie ihn auszogen und mit Drähten peitschten, ihm heiße Nadeln in die von amerikanischen Granatsplittern gerissene Wunde am Bein bohrten, ankündigten, ihn am nächsten Tag vergewaltigen und erschießen zu wollen.
    Sie taten es nicht.
    Stattdessen Bastonade – sie schlugen ihm mit Knüppeln auf die nackten Füße, bis sie bluteten und keine Haut mehr daran war, dann ließen sie ihn durch den Raum humpeln, auf dessen Boden sie Glasscherben verteilt hatten.
    Er schrie wie ein kleines Mädchen.
    Sie lachten und nannten ihn Schwuchtel.
    Er hätte ihnen alles erzählt, aber

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