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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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Fadenkreuz …
    »Zur Genesung ist er in seine jordanische Heimat gereist«, sagt Miriam, »was aus seiner Sicht, wie du dir vielleicht denken kannst, ein schwerwiegender Fehler war.«
    »Der Muchabarat wurde auf ihn aufmerksam«, sagt Dave.
    Der Da’irat al-Muchabarat al-Amma, der jordanische Geheimdienst, kurz GID, gehört zu den besten der Welt und steht in enger Verbindung mit der CIA und dem Mossad. Die regierende haschemitische Dynastie betrachtet den Islamismus als Bedrohung der eigenen Existenz und duldet ihn nicht.
    Im Sommer 2001 hörte der Muchabarat Botschaften der al-Qaida ab, in denen es um einen geplanten Anschlag in den Vereinigten Staaten ging – Codename Big Wedding –, und leitete den Bericht über amerikanische Geheimdienstkanäle weiter.
    Die Warnung blieb unbeachtet.
    Die Task Force 145 bekam jede Menge geheimdienstliche Informationen über die al-Qaida in Mesopotamien übermittelt, und Miriam pflegte ihre jordanischen Kontakte.
    »Aziz wurde nach Al-Jafr gebracht«, sagt Miriam.
    Egal, wie scharf unsere Verhörmethoden auch sein mögen, denkt Dave, im Vergleich zu dem, was der Muchabarat in der jordanischen Wüste veranstaltet, gleichen sie eher einem Strandausflug. Das Schlimmste, was einem Muslim passieren kann, ist, von einem anderen Muslim gefangen genommen oder von der CIA ausgeliefert zu werden. Es heißt, Gefangene auf dem Weg nach Al-Jafr hätten schon darum gebettelt, nach Guantanamo verlegt zu werden.
    Miriam zeigt Dave das offizielle, von den Jordaniern aufgenommene Gefangenenfoto von Aziz, auf dem er blass und hager wirkt. »Sie haben ihn drei Wochen lang verhört, aber dann gehen lassen.«
    »Warum wurde er nicht an uns ausgeliefert?«, fragt Dave.
    »Er war kein HVT«, sagt Miriam.
    Kein hochrangiger Verdächtiger.
    Er hat während der Verhöre dichtgehalten, denkt Dave, und wenig oder gar nichts verraten. Wahrscheinlich hat er sich als dummer junger Mudschahed verkauft, der sich einen Haufen Mist hatte erzählen lassen, seine Lektion aber inzwischen gelernt hat.
    »Wir wissen, dass er anschließend wieder nach Deutschland flog«, sagt Miriam, »dann haben wir ihn verloren. Der amerikanische Geheimdienst hat sich vor allem für Osama interessiert. Aziz blieb unter dem Radar.«
    Sie erklärt, Aziz baue auf eine Struktur horizontal angeordneter verschwiegener Zellen, die untereinander wenig oder gar keinen Kontakt haben. Er ist kein Anhänger des von der alten al-Qaida gepflegten Persönlichkeitskults – von ihm gibt es keine Fotos, keine Videobotschaften des »großen Anführers«. Er benutzt kein Handy – nur selten mal ein Satellitentelefon – und erledigt fast alles über schnelle Internetverbindungen – auf altmodische Weise im direkten Kontakt von einer Person zur anderen. Anstatt sich irgendwo auf einem isolierten Stützpunkt zu verkriechen, wo er von Satelliten gefunden werden könnte, zieht es ihn in stark bevölkerte Gebiete, wo er in der Masse untertaucht.
    »Status?«
    »›Im Kommen‹«, sagt Miriam. »Noch nicht an der Spitze der terroristischen Stufenleiter, aber auch nicht mehr allzu weit davon entfernt. Falls er wirklich hinter dem Attentat auf Flug 211 steckt, wird ihn das ein ganzes Stück nach oben bringen.«
    »Warum hat er sich nicht zu dem Anschlag bekannt?«, fragt Dave. »Was nutzt ihm das Attentat, wenn er es sich nicht auf die Fahnen schreibt?«
    »Rache«, sagt Miriam. »Er betrachtet die Jordanier als Schoßhündchen der Amerikaner, also tragen eigentlich diese die Schuld an der Folter in Al-Jafr. Amerikaner zu töten ist ihm Belohnung genug. Außerdem musst du dir klarmachen, dass sich der Terrorismus verändert hat.«
    Er ist zum Geschäft geworden.
    Jede Terrororganisation fängt mit einem Anliegen an und wird dann zum Unternehmen.
    Amerikaner töten ist ein Geschäft.
    »Und alle stecken mit drin«, sagt Miriam. »Die al-Shabaab, die Organisation von Hekmatyar, das Haqqani-Netzwerk.Aziz ist nur einer von vielen, die versuchen, sich an die Spitze zu setzen. Aziz’ eigentliches Geschäft besteht aus Erpressung, Drogen- und Waffenhandel sowie Einflussnahme. Ein Anschlag wie der auf Flug 211 ruft in der arabischen Welt komplexe Reaktionen hervor – Abscheu, Bewunderung, Respekt – vor allem aber Angst. Todesangst. ›Wenn er das den Amerikanern antun kann, was wird er mir dann erst antun?‹ Ladenbesitzer, Geschäftsleute zahlen Abgaben. Die Opiumhändler aus Südasien wollen mit ihm zusammenarbeiten.«
    Drogen und Terror, denkt Dave, sind das

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