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Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Vergeltung (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don Winslow
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sie haben nicht gefragt. Informationen schienen sie gar nicht zu interessieren, sie wollten ihm nur weh tun.
    Als sie von den Stockhieben genug hatten, ging es weiter mit dem »Grillhuhn« – sie fesselten seine Hände hinter den Kniekehlen und hängten ihn kopfüber an einen Holzpfahl, schlugen auf ihn ein, während er hin- und herschaukelte.
    Er heulte, schrie, schluchzte und flehte seine Peiniger an.
    Was nur zu noch größerer Heiterkeit führte.
    So ging es drei Tage lang ununterbrochen. Jedes Mal versicherten sie ihm, mit der nächsten Maßnahme würden sie ihn zum Krüppel machen, er würde fortan wie ein Affe gehen, nie wieder die Arme heben können.
    Dann schienen sie des Spiels müde zu werden und ließen ihn nackt in der eiskalten Zelle liegen, wo er frierend und unter Schmerzen, gedemütigt und angsterfüllt, einen tauben Gott anrief, der ihm nicht antwortete.
    Eine Woche später zogen sie ihn aus seiner Zelle, gaben ihm seine Kleider zurück und stießen ihn ohne weitere Erklärung auf die Straße hinaus.
    Der Muchabarat, das Schoßhündchen der Amerikaner.
    Derselben Amerikaner, die bis jetzt noch nicht auf den Anschlag reagiert haben.
    Entweder glauben sie inzwischen selbst an ihre Version, dass es ein Unfall war, oder sie sind feige, denkt er und schiebtsich eine weitere Gabel mit köstlichem Reis in den Mund, lässt ihn sich auf der Zunge zergehen. Letzteres scheint ihm am einleuchtendsten.
    Die allmächtigen Amerikaner haben Schiss.
    Zehn Jahre und tausende Leben hat es sie gekostet, Osama zu töten, und diesen Preis wollen sie nicht noch einmal zahlen.
    Deshalb unternehmen sie nichts.
    Wenn ich Yusuf für uns gewinnen kann, wird das letzte Attentat im Vergleich zu den kommenden wie ein Segen wirken. Der nächste Anschlag wird die westliche Welt in ihren Grundfesten erschüttern und das Gleichgewicht der Macht zugunsten des Ostens verschieben, so wie es sich gehört.
    Ich werde wieder zuschlagen und niemand wird etwas dagegen unternehmen.


    »›Nichts anderes braucht es zum Triumph des Bösen …‹«, setzt Dave an, hält dann aber inne und blickt ins Publikum. Alles hängt jetzt von seinen Worten ab.
    »›… als dass gute Menschen nichts tun.‹«
    Über fünfhundert Augenpaare starren ihn an.
    »Das Zitat stammt von Edmund Burke«, sagt Dave, »und ist heute noch ebenso wahr wie vor zweihundert Jahren.«
    Er beugt sich über sein Rednerpult und sucht zu möglichst vielen Menschen Blickkontakt.
    »Ich werde nicht nichts tun«, sagt Dave.
    Er wusste nicht, wie die Angehörigen der Opfer auf seinen Brief reagieren würden, den er allen geschickt hatte, deren Adressen er ausfindig machen konnte. Einige ließen gar nichtsvon sich hören, andere sagten ab – der Weg sei zu weit, der Schmerz noch zu frisch, einige hielten ihn auch für einen Unruhestifter, einen Verschwörungsspinner oder einen ganz gewöhnlichen Schwindler oder Betrüger.
    Aber die meisten kamen.
    Dave weiß, dass er vielen von ihnen in den schrecklichen Tagen direkt nach dem Absturz bereits begegnet ist – mit ihnen gemeinsam auf die entsetzlichen, unausweichlichen Nachrichten gewartet und den zahlreichen Verlautbarungen zugehört hat, darunter auch der abschließenden Einschätzung der Unfallursache, die, wie er jetzt weiß, frei erfunden war.
    Andere sind Hinterbliebene der am Boden getöteten, derjenigen, die dem brennenden Treibstoff zum Opfer fielen oder im Tunnel gefangen wurden. Einige erkennt er von der Gedenkfeier wieder – er sah, wie sie trauernd die Köpfe neigten, von Weinkrämpfen geschüttelt.
    Jetzt sitzen sie in dem überheizten Veranstaltungssaal des Sheraton Hotels und mustern Dave mit einer Mischung aus Neugier, Skepsis und unverhohlener Feindseligkeit. Einige erkennt er nicht. Sie halten sich im Hintergrund und sind dem Aussehen nach FBI-Agenten.
    »Wir wurden belogen«, sagt Dave. »Unsere Regierung hat uns erklärt, der Absturz von Flug 211 sei auf technisches Versagen zurückzuführen. Das ist nicht wahr. Das Flugzeug wurde von einer Rakete abgeschossen. Unsere Angehörigen wurden ermordet.«
    Einige stehen auf und gehen zur Tür. Dave kann das verstehen – sie haben so viele widersprüchliche und unstimmige Informationen erhalten, ungenaue Analysen von sogenannten Experten, Gerüchte und Halbwahrheiten zu hören bekommen. Jetzt endlich, als sie glaubten, genug zu wissen, um abschließen zu dürfen, kommt er daher und will ihnen auch noch diesen schwachen Trost nehmen.
    Aber die meisten bleiben, als

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