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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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kurz ein Stück des Sonnendecks zu sehen, das über das braune Gestrüpp hinausragte.
    »Möchtest du Garcia anrufen und fragen, ob wir kurz bei ihm vorbeischauen können, wenn wir mit dem Bewährungshelfer fertig sind?«, fragte Bosch.
    »Ja, werde ich – sobald du bei deiner Geschichte endlich auf den Punkt gekommen bist.«
    Er dachte ziemlich lange nach, bevor er weitersprach.
    »Der Punkt ist der, ich brauche die Waffe. Ich brauche die Dienstmarke. Sonst bin ich nicht im Gleichgewicht. Ich brauche das alles. Bist du jetzt zufrieden?«
    Er sah zu Rider hinüber. Sie sah ihn ebenfalls an, antwortete aber nicht.
    »Ich weiß, was ich hier für eine Chance bekommen habe. Deshalb kann Irving mich mal mit seinem Runderneuerten-Gequatsche. Ich werde keinen Scheiß bauen.«

 
     
     
     
     
     
     
     
     
    8
    Zwanz ig Minuten später betraten sie einen der Orte, den Bosch in Los Angeles am allerwenigsten mochte: das Amt für Bewährungshilfe im Department of Corrections in Van Nuys. Es war ein eingeschossiger Ziegelbau voll mit Leuten, die darauf warteten, mit ihrem Bewährungshelfer zu sprechen, Urinproben abzugeben, sich laut einer gerichtlichen Verordnung zu melden, sich für eine Inhaftierung zu stellen oder um eine weitere Chance für ein Leben in Freiheit zu bitten. Es war ein Ort, an dem Verzweiflung, Erniedrigung und Wut greifbar in der Luft lagen. Es war ein Ort, an dem Bosch versuchte, mit niemandem Blickkontakt aufzunehmen.
    Bosch und Rider hatten etwas, was von den andern niemand besaß: eine Dienstmarke. Das brachte den Vorteil mit sich, dass sie nicht Schlange stehen mussten, sondern eine sofortige Audienz bei der Bewährungshelferin erhielten, der Roland Mackey zwei Jahre zuvor nach seiner Verhaftung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses zugeteilt worden war. Thelma Kibble war in einem typischen Behördenzimmer voller kleiner Einzelabteile untergebracht. Ihr Schreibtisch und das Regal, mit dem ihr Verschlag eingerichtet war, waren voll mit den Akten von Straftätern, die sie betreut hatte. Thelma Kibble war von mittlerer Größe und Statur, und ihre Augen hoben sich hell gegen ihre dunkelbraune Haut ab. Bosch und Rider stellten sich als Detectives der RHD vor. Es gab nur einen Stuhl vor Kibbles Schreibtisch, weshalb sie stehen blieben.
    »Geht es hier um Raubüberfall oder Mord?«, fragte Kibble.
    »Mord«, sagte Rider.
    »Dann schnappen Sie sich doch den Stuhl aus dem Abteil dort drüben. Die Kollegin ist noch in der Mittagspause.«
    Bosch holte den Stuhl, auf den sie zeigte. Rider und Bosch setzten sich und erklärten Kibble, sie würden gern einen Blick in die Akte Roland Mackey werfen. Bosch konnte sehen, dass Kibble der Name bekannt vorkam, aber nicht der Fall.
    »Es ging um Erregung öffentlichen Ärgernisses. Der Fall wurde Ihnen vor zwei Jahren zugeteilt«, sagte er. »Eine Bewährungsfrist von zwölf Monaten.«
    »Ach so, dann ist er kein Aktueller. In diesem Fall muss ich die Akte aus dem Archiv holen. Ich kann mich nicht – das heißt, doch, ich erinnere mich. Roland Mackey, richtig? Das war eigentlich ganz amüsant.«
    »Inwiefern?«, fragte Rider.
    Kibble lächelte.
    »Sagen wir einfach, er hatte gewisse Probleme damit, sich bei einer farbigen Frau zu melden. Aber wissen Sie was, ich hole die Akte trotzdem, damit wir hier nichts durcheinander bringen.«
    Sie vergewisserte sich, dass sie Mackeys Namen richtig buchstabierte, und verließ das Abteil.
    »Das ist vielleicht gar nicht so schlecht«, sagte Bosch.
    »Was?«, fragte Rider.
    »Wenn er mit ihr Probleme hatte, hat er wahrscheinlich auch mit dir Probleme. Vielleicht können wir uns das zunutze machen.«
    Rider nickte. Bosch sah, dass sie auf einen Zeitungsartikel schaute, der an die Faserplattenwand des Abteils geheftet war. Er war alt und vergilbt. Bosch beugte sich vor, um ihn zu lesen, aber er war zu weit entfernt, um mehr lesen zu können als die Überschrift.
     
    TRIUMPHALER EMPFANG FÜR
    VERWUNDETE BEWÄHRUNGSHELFERIN
     
    »Was war das für eine Geschichte?«, fragte er Rider.
    »Ich weiß, wer sie ist«, sagte Rider. »Sie wurde vor ein paar Jahren schwer verletzt. Jemand schoss auf sie, als sie bei einer ehemaligen Strafgefangenen einen Hausbesuch machte. Die Frau forderte Hilfe an, machte sich danach aber aus dem Staub. Irgendwas in der Art. Wir haben ihr bei der BPO eine Auszeichnung verliehen. Wahnsinn, da hat sie inzwischen aber mächtig abgenommen.«
    Irgendetwas an der Geschichte kam auch Bosch bekannt vor. Er

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