Vergessene Stimmen
dem Haus Körbe warf. Als Mr. Mackey das Mädchen sah, dachte er sich: Nachdem du dein Ding schon mal rausgeholt hast, kannst du die Kleine auch gleich noch fragen, ob sie nicht einen Blick darauf werfen will. Hab ich übrigens schon erwähnt, dass der Vater des Mädchens bei der Metro Division des LAPD ist und zufällig gerade nicht im Dienst, sondern zu Hause war, als das Ganze passiert ist? Er kam heraus und warf Mr. Mackey zu Boden. Übrigens beklagte Mr. Mackey sich später, dass er zufällig oder vielleicht auch nicht so zufällig genau in die Pfütze gelegt wurde, die er gerade gemacht hatte. Er war nicht besonders glücklich darüber.«
Kibble grinste über die Geschichte. Bosch nickte. Ihre Schilderung war anschaulicher als die Zusammenfassung in der Akte.
»Und er hat sich auf eine außergerichtliche Regelung eingelassen.«
»Ganz genau. Er bekam eine Bewährungsstrafe und erklärte sich damit einverstanden. Daraufhin wurde er mir zugeteilt.«
»Irgendwelche Probleme während seiner zwölf Monate?«
»Abgesehen von dem Problem, das er mit mir hatte, nicht. Er stellte einen Antrag auf Zuteilung eines anderen Bewährungshelfers, und der wurde abgelehnt, sodass er weiter mit mir vorlieb nehmen musste. Er hat sich zwar zusammengerissen, aber es war ihm anzumerken. Unterschwellig, wissen Sie? Allerdings hätte ich nicht sagen können, was ihn mehr wurmte: dass ich schwarz war oder dass ich eine Frau war.«
Bei den letzten Worten sah sie Rider an, und Rider nickte.
Der Ordner enthielt Einzelheiten über Mackeys frühere Straftaten und sein Leben, darunter auch Fotos, die bei früheren Festnahmen gemacht worden waren. Diese Akte würde ihre wichtigste Informationsquelle über den Gesuchten sein. Sie war zu umfangreich, um sie hier bei Kibble durchzugehen.
»Könnten wir diese Akte kopiert bekommen?«, fragte Bosch. »Wenn möglich, würden wir uns außerdem gern eins dieser frühen Fotos borgen.«
Kibble kniff kurz die Augen zusammen.
»Sie beide rollen einen alten Fall auf, wie?«
Rider nickte. »Ja, der liegt schon sehr weit zurück.«
»Ein kalter Fall also?«
»Wir nennen so was offen-ungelöst«, sagte Rider.
Kibble nickte nachdenklich.
»Also, mich kann hier ja nichts mehr überraschen – ich kenne Leute, die zwei Tage vor Ablauf ihrer vierjährigen Bewährungsfrist verhaftet wurden, weil sie eine Tiefkühlpizza geklaut haben. Aber so, wie ich diesen Mackey in Erinnerung habe, hatte er nichts von einem Killer an sich. Nicht, wenn Sie mich fragen. Das ist ein Mitläufer, kein Macher.«
»Das stimmt durchaus mit unserer Einschätzung überein«, sagte Bosch. »Wir sind keineswegs sicher, dass er es war. Wir wissen nur, dass er etwas damit zu tun hatte.«
Er stand auf, um zu gehen.
»Wie ist das mit dem Foto?«, fragte er. »Eine Fotokopie ist nicht scharf genug, um sie herumzuzeigen.«
»Solange Sie es mir wieder zurückgeben, können Sie es sich gern ausleihen. Ich muss die Akte beisammenhalten. Leute wie Mackey haben es so an sich, wieder zu mir zurückzukommen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ja, und Sie kriegen das Foto wieder zurück. Könnte ich außerdem eine Kopie von Ihrer Geschichte da haben? Ich würde den Artikel gern lesen.«
Kibble sah auf den Zeitungsausschnitt, der an die Wand des Abteils geheftet war.
»Aber nur, wenn Sie das Foto nicht ansehen. Das ist mein altes Ich.«
Als sie im Bewährungsamt fertig waren, gingen Rider und Bosch über die Straße ins Van Nuys Civic Center und zwischen den zwei Gerichtsgebäuden hindurch zu dem Platz in der Mitte. Sie setzten sich vor der Bibliothek auf eine Bank. Ihren nächsten Termin hatten sie mit Arturo Garcia von der Van Nuys Division des LAPD, die in einem der Gebäude des Verwaltungszentrums untergebracht war. Aber sie hatten noch etwas Zeit und wollten sich zuerst die DOC-Akte ansehen.
Der Ordner enthielt ausführliche Schilderungen der Straftaten, deretwegen Roland Mackey seit Erreichen des achtzehnten Lebensjahres festgenommen worden war. Außerdem enthielt er einen regelmäßig ergänzten Lebenslauf, den die Bewährungshelfer zur Abstimmung ihrer Überwachungstätigkeit im Lauf der Jahre immer wieder zu Rate gezogen hatten. Rider gab Bosch die Festnahmeprotokolle, sie selbst nahm sich den Lebenslauf vor. Doch Bosch war kaum dazu gekommen, sich einem Einbruchsfall zuzuwenden, als Rider ihn bereits unterbrach, um ihn auf ein paar Einzelheiten aus Mackeys Lebenslauf aufmerksam zu machen, die sie in Zusammenhang mit dem
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