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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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Lass uns gehen.«
    »Ich bin fertig.«
    Bosch legte mehr als genug Geld auf den Tisch, und Rider sagte, das nächste Mal wäre sie dran. Draußen stiegen sie in Boschs schwarzen Mercedes-Geländewagen und fuhren durch Chinatown zur Nordauffahrt des Freeway 101 zurück. Sie schafften es, die ganze Strecke bis zum Freeway zu fahren, bevor Rider wieder auf Irving zu sprechen kam.
    »Harry, nimm ihn bitte nicht auf die leichte Schulter. Sei sehr vorsichtig.«
    »Vorsichtig bin ich doch immer, Kiz, und auf die leichte Schulter habe ich diesen Mann nie genommen.«
    »Ich will damit nur sagen, dass er bei der Besetzung des Spitzenpostens zweimal übergangen wurde. Vielleicht schreckt er inzwischen vor nichts mehr zurück.«
    »Schon klar, aber weißt du, was ich nicht verstehe? Warum hat ihn der Chief nicht abserviert, als er hierher kam? Ich meine, warum nicht reinen Tisch machen? Irving auf die andere Straßenseite abzuschieben heißt nicht, dass er keine Bedrohung mehr darstellt. Das weiß doch jeder.«
    »Er konnte ihn nicht abservieren. Irving ist über vierzig Jahre bei der Polizei. Er hat viele Beziehungen, die über das LAPD hinaus bis in die City Hall reichen. Und er weiß, wo eine Menge Leichen begraben sind. Solange der Chief nicht sicher war, dass eine solche Maßnahme keine Rückwirkungen hätte, konnte er nichts gegen ihn unternehmen.«
    Sie schwiegen wieder. Am frühen Nachmittag herrschte auf dem Weg ins Valley wenig Verkehr. Im Radio lief KFWB, ein reiner Nachrichtensender, und den Verkehrsmeldungen zufolge hatten sie nicht mit Staus zu rechnen. Bosch sah auf die Tankanzeige und stellte fest, dass der Tank noch halb voll war. Das war genug.
    Sie hatten bei einer früheren Gelegenheit beschlossen, abwechselnd ihre Privatautos zu benutzen. Es war zwar ein Dienstwagen für sie beantragt und genehmigt worden, aber beiden war klar, dass die Genehmigung das geringste Problem war. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde es Monate, wenn nicht sogar noch länger dauern, bevor sie endlich einen fahrbaren Untersatz bekämen. Die Polizei hatte weder einen Wagen übrig noch das Geld für einen neuen. Die Genehmigung für einen Dienstwagen war lediglich die schriftliche Bestätigung, die sie benötigten, um sich das Kilometergeld für ihre Privatautos erstatten lassen zu können. Bosch würde im Lauf der Zeit so viele Kilometer mit seinem Geländewagen zurücklegen, dass die Erstattung seiner Auslagen das LAPD wahrscheinlich teurer käme als der genehmigte Dienstwagen.
    »Sieh mal«, sagte er schließlich. »Ich weiß genau, was du denkst, auch wenn du es nicht aussprichst. Du machst dir nicht nur meinetwegen Sorgen. Du hast dich für mich eingesetzt und den Chief überredet, mich zurückzuholen. Du kannst mir glauben, Kiz, ich weiß genau, dass ich nicht der Einzige bin, dessen Karriere hier auf dem Spiel steht. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, und du kannst auch dem Chief sagen, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht. Ich werde mich zusammenreißen. Es wird keinen Eklat geben. Und ich werde auch niemanden mit ins Verderben reißen.«
    »Gut, Harry. Schön, das zu hören.«
    Er überlegte, was er sagen könnte, um sie noch mehr zu überzeugen. Worte waren schließlich nur Worte.
    »Ich weiß nicht, ob ich dir das jemals erzählt habe, aber nachdem ich aufgehört habe, hat es mir zunächst wirklich gut gefallen. Du weißt schon, nicht mehr jeden Tag zum Dienst antanzen zu müssen und tun zu können, wozu ich Lust hatte. Aber dann begann mir die Arbeit zu fehlen, und ich fing wieder an, Fälle zu bearbeiten. Auf eigene Faust. Dann fing ich an zu hinken.«
    »Zu hinken?«
    »Nur ganz leicht. So, als ob ein Bein etwas kürzer wäre als das andere. Als ob ich leicht schief wäre.«
    »Hast du dir vielleicht deine Schuhe mal genauer angesehen?«
    »Das war nicht nötig. Es lag nicht an meinen Schuhen. Es lag an meiner Waffe.«
    Er sah zu ihr hinüber. Sie schaute geradeaus nach vorn, ihre Augenbrauen zu einem finsteren V verzogen, das sie in seiner Gegenwart so oft aufsetzte. Er richtete den Blick wieder auf die Straße.
    »Ich habe so lange eine Waffe getragen, dass ich aus dem Gleichgewicht kam, als ich keine mehr hatte. Ich war nicht mehr richtig austariert.«
    »Das ist eine seltsame Geschichte, Harry.«
    Sie überquerten gerade den Cahuenga Pass. Bosch sah aus dem Seitenfenster den Berg hinauf und hielt nach dem Haus Ausschau, das sich zwischen den anderen an die steilen Hänge schmiegte. Er bildete sich ein,

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