Vergessene Stimmen
seine Tasche und holte das Karteifoto aus Roland Mackeys Bewährungsakte heraus. Es war ein Bild von Mackey als 18-jähriger Autodieb. Bosch legte es auf die Klassenarbeit, die Bailey Sable gerade zensiert hatte. Sie schaute darauf hinab.
»Kennen Sie die Person auf diesem Foto?«, fragte Bosch.
»Es wurde vor siebzehn Jahren aufgenommen«, fügte Rider hinzu. »Etwa zu der Zeit, als Becky starb.«
Die Lehrerin sah auf das Foto von Mackey, der herausfordernd in die Kamera blickte. Sie sagte lange nichts. Bosch sah Rider an und nickte, ein Zeichen, dass sie übernehmen sollte.
»Könnte das jemand sein, mit dem Sie oder Becky oder sonst eine Ihrer Freundinnen damals etwas zu tun gehabt haben?«, fragte Rider.
»Ging er hier zur Schule?«, fragte Sable.
»Nein, wir glauben nicht. Aber wir wissen, dass er hier in der Gegend gewohnt hat.«
»Ist er der Mörder?«
»Das wissen wir nicht. Wir versuchen lediglich festzustellen, ob es zwischen Becky und ihm eine Verbindung gab.«
»Wie heißt er?«
Rider sah Bosch an, und er nickte wieder.
»Er heißt Roland Mackey. Kommt er Ihnen bekannt vor?«
»Eigentlich nicht. Es fällt mir schwer, mich so weit zurückzuerinnern. Mich an die Gesichter von Fremden zu erinnern, meine ich.«
»Dann ist es also eindeutig niemand, den Sie kannten, richtig?«
»Nein, eindeutig nicht.«
»Können Sie sich vorstellen, dass Becky ihn kannte, ohne dass Sie etwas davon wussten?«
Sie dachte lange nach, bevor sie antwortete.
»Also, auszuschließen ist es sicher nicht. Sie wissen ja, dass sich herausstellte, dass sie schwanger war. Da ich davon nichts wusste, ist es durchaus möglich, dass ich auch von ihm nichts wusste. War er der Vater?«
»Das wissen wir nicht.«
Ohne dazu aufgefordert worden zu sein, hatte sie das Gespräch auf den Punkt gebracht, den Bosch als Nächstes anschneiden wollte.
»Mrs. Sable, Sie wissen ja, diese Geschichte liegt schon einige Jahre zurück. Wenn Sie damals für Ihre Freundin ein Geheimnis gehütet haben, können wir das sehr wohl verstehen. Aber wenn es irgendetwas gibt, was Sie bisher verschwiegen haben, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, es uns zu sagen. Das ist wahrscheinlich der letzte Versuch, den jemand unternehmen wird, um dieses Verbrechen aufzuklären.«
»Meinen Sie ihre Schwangerschaft? Davon wusste ich leider wirklich nichts. Ich war genauso geschockt wie alle anderen, als die Polizei deswegen Fragen zu stellen begann.«
»Wenn sich Becky wegen dieser Sache jemandem anvertraut hätte, wären das Sie gewesen?«
Wieder antwortete sie nicht auf der Stelle. Sie dachte eine Weile nach.
»Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich. »Wir standen uns sehr nahe, aber sie hatte auch mit ein paar anderen Mädchen ein ähnlich enges Verhältnis. Wir waren zu viert und seit der ersten Klasse zusammen. In der ersten Klasse nannten wir uns der Kitty Cat Club, weil jede von uns eine Katze hatte. Im Lauf der Jahre stand eine mal dieser, mal jener von uns näher. Das änderte sich ständig. Aber als Gruppe gehörten wir immer zusammen.«
Bosch nickte.
»Wer, würden Sie sagen, stand Becky in dem Sommer, in dem sie ermordet wurde, am nächsten?«
»Wahrscheinlich Tara. Sie hat es am schwersten getroffen.«
Bosch sah Rider an und versuchte, sich an die Namen der Mädchen zu erinnern, die zwei Tage vor Beckys Tod mit ihr bei einer Freundin übernachtet hatten.
»Tara Wood?«, fragte Rider.
»Ja. Sie waren in diesem Sommer viel zusammen, weil Beckys Vater in Malibu ein Restaurant hatte und beide dort jobbten. Sie teilten sich Mittags- und A bendschicht. Irgendwie haben die beiden in diesem Sommer über nichts anderes gesprochen.«
»Was erzählten sie darüber?«, fragte Rider.
»Ach, mein Gott, welche Stars in das Restaurant kamen. Leute wie Sean Penn und Charlie Sheen. Und manchmal sprachen sie darüber, welche Jungen dort arbeiteten und welche nett waren. Mich hat das nicht sonderlich interessiert, weil ich ja nicht dort gearbeitet habe.«
»Gab es jemand Speziellen, über den sie besonders viel gesprochen haben?«
Sie überlegte eine Weile, bevor sie antwortete.
»Eigentlich nicht. Jedenfalls nicht, dass ich mich erinnern könnte. Sie redeten nur gern über sie, weil sie so anders waren. Lauter Surfer und angehende Schauspieler. Tara und Becky waren typische Valley-Girls. Für sie war das eine ganz andere Welt.«
»Hatte sie was mit jemandem aus dem Restaurant?«, fragte Bosch.
»Nicht, dass ich wüsste. Aber wie gesagt, ich hatte auch
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