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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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natürliche Ursachen oder einen Unfall oder eine Scheidung zu verlieren? Bosch hatte eine Tochter, die er selten sah. Das belastete ihn. Er wusste, dass ihn seine Tochter, ob nah oder fern, extrem verletzlich machte und dass er enden konnte wie die Mutter, die das Zimmer ihrer Tochter wie ein Museum erhielt, oder wie der Vater, der längst für die Welt verloren war.
    Mehr als diese Frage beschäftigte ihn jedoch etwas, was Rebeccas Zimmer betraf. Was genau das war, bekam er noch immer nicht richtig zu fassen, aber er wusste, es war da, und es ließ ihm keine Ruhe. Er schaute vom erhöht verlaufenden Freeway nach links auf Hollywood hinab. Am Himmel war noch etwas Licht, aber der Abend brach herein. Die Dunkelheit hatte lang genug gewartet. Suchscheinwerfer, von denen er wusste, dass sie von der Ecke Hollywood und Vine kamen, durchkreuzten den Horizont. Für ihn sah es schön aus. Für ihn sah es wie zu Hause aus.
    Als er in seinem Haus auf dem Hügel ankam, sah er die Post durch, hörte den Anrufbeantworter ab und zog dann den Anzug aus, den er sich für seinen Dienstantritt gekauft hatte. Als er ihn sorgfältig in den Schrank hängte, befand er, dass er ihn noch mindestens einmal tragen könnte, bevor er ihn in die Reinigung brachte. Er zog eine Jeans, schwarze Slipper und ein schwarzes Polohemd an. Dann schlüpfte er in ein Sportsakko, das an der rechten Schulter abgewetzt war, weil er die Ecken zu eng nahm. Er steckte Dienstwaffe, Marke und Brieftasche ein. Dann stieg er wieder in sein Auto und fuhr in die Stadt zum Toy District.
    Um sich keine Sorgen machen zu müssen, dass sein Auto aufgebrochen oder beschädigt würde, beschloss Bosch, auf dem Museumsparkplatz in Japantown zu parken. Als er von dort zur Fifth Street ging, beobachtete er ein ständiges Zunehmen des Anteils an Obdachlosen. Die größten Obdachlosenlager der Stadt und die Missionen, die sich ihrer annahmen, lagen an einem fünf Straßen langen Abschnitt der Fifth südlich der Los Angeles Street. Die Bürgersteige vor den Missionen und den billigen Hotels waren übersät von Schachteln und Einkaufswagen mit den spärlichen verdreckten Habseligkeiten der Gestrandeten. Es war so, als wäre eine Art soziale Auflösungsbombe hochgegangen und das Schrapnell aus zerstörten, entmündigten Menschenleben in alle Richtungen davongeflogen. Überall die Straße hinauf und hinunter schrien Menschen herum, ihr Gezeter entweder ganz unver ständlich oder gespenstisch wirres, in die Nacht hi nausgeplärrtes Zeug. Es war wie eine Stadt mit eigenem Gesetz und eigener Logik, eine verletzte Stadt, mit einer Wunde so tief, dass die von den Missionen angelegten Verbände die Blutung nicht stillen konnten.
    Als Bosch die Straße hinunterging, fiel ihm auf, dass er kein einziges Mal um Geld oder Zigaretten oder sonst eine Gefälligkeit gebeten wurde. Die Ironie dessen entging ihm nicht. Anscheinend war der Ort mit der höchsten Obdachlosendichte der Stadt auch der Ort, wo ein Bürger zumindest vor ihrem Gebettel sicher war.
    Die Los Angeles Mission und die Heilsarmee hatten hier große Hilfszentren. Bosch beschloss, bei ihnen anzufangen. Er hatte ein zwölf Jahre altes Führerscheinfoto von Robert Lost und ein noch älteres Foto, das beim Begräbnis seiner Tochter aufgenommen worden war. Er zeigte diese Aufnahmen den Leuten, die diese Versorgungszentren leiteten, und den Küchenhilfen, die Tag für Tag Hunderte von Tellern mit kostenlosem Essen füllten. Er bekam wenig Rückmeldungen, bis sich endlich eine Küchenhilfe an Lost als einen »Kunden« erinnerte, der ein paar Jahre zuvor ziemlich regelmäßig um Essen angestanden war.
    »Ist schon eine Weile her«, sagte der Mann. »Hab ihn länger nicht mehr gesehen.«
    Nachdem er in jedem Zentrum etwa eine Stunde verbracht hatte, arbeitete sich Bosch weiter die Straße hinunter und zeigte die Fotos in den Absteigen und kleineren Missionen herum. Er fand ein paar Leute, die Lost wiedererkannten, aber nichts Frisches, nichts, was ihn auf die Spur des Mannes führte, der vor so vielen Jahren vom menschlichen Radarschirm verschwunden war. Um halb elf beschloss er, am nächsten Tag weiterzumachen und den Rest der Straße abzuklappern. Auf dem Weg zurück nach Japantown war er deprimiert, einerseits wegen der Welt, in die er gerade eingetaucht war, andererseits wegen seiner schwindenden Hoffnung, Robert Lost zu finden. Er ging mit gesenktem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, die Straße hinunter und sah deshalb die zwei

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