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Vergessene Stimmen

Titel: Vergessene Stimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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ging.

 
     
     
     
     
     
     
     
     
    23
    Kiz Rider saß immer noch vor Judge Anne Demchaks Richterzimmer, als Bosch eintraf. Er war auf dem Weg von Van Nuys nach Downtown in den Nachmittagsstau geraten und fürchtete, die Besprechung mit der Richterin verpasst zu haben. Rider las eine Zeitschrift, und Boschs erster Gedanke war, dass er in dieser Phase der Ermittlungen nicht in der Lage wäre, ganz entspannt in einem Magazin zu blättern. An diesem Punkt ließ sich seine Aufmerksamkeit nicht mehr teilen. Er war voll und ganz bei der Sache. Seltsamerweise kam diesem Zustand in seiner Erfahrung das Surfen am nächsten, obwohl er seit dem Sommer 1964, als er von seinen Pflegeeltern ausgerissen war und am Strand gelebt hatte, nicht mehr auf einem Brett gestanden hatte. Seitdem waren einige Jahre vergangen, aber an den Wassertunnel konnte er sich immer noch erinnern. Es kam darauf an, in die Röhre, den Wellentunnel zu kommen, an den Ort, an dem das Wasser im Kreis um einen herumwirbelte, an dem nichts anderes mehr existierte als das Wasser und der Ritt. Bosch war jetzt in der Röhre. Für ihn existierte nichts anderes mehr als der Fall.
    »Wie lange bist du schon hier?«, fragte er.
    Rider sah auf die Uhr.
    »Etwa vierzig Minuten.«
    »Ist sie schon die ganze Zeit mit dem Antrag da drinnen?«
    »Ja.«
    »Machst du dir Sorgen?«
    »Nein. Ich bin nicht das erste Mal bei ihr. Unter anderem war ich auch mal wegen eines Hollywood-Falls hier, nachdem du bereits aufgehört hattest. Sie ist nur gründlich. Sie liest jede Seite. Das dauert zwar etwas, aber sie ist eindeutig in Ordnung.«
    »Es kommt morgen schon in die Zeitung. Sie muss heute unterschreiben.«
    »Ich weiß, Harry. Nur keine Hektik. Setz dich erst mal.«
    Bosch blieb stehen. Die Richter wechselten sich bei der Ausstellung solcher Anordnungen turnusmäßig ab. Dass sie Demchak bekommen hatten, war pures Glück.
    »Ich hatte noch nie mit ihr zu tun«, sagte er. »War sie mal bei der Staatsanwaltschaft?«
    »Nein. Sie kommt von der anderen Seite. Pflichtverteidigerin.«
    Bosch stöhnte. Er hatte die Erfahrung gemacht, dass Strafverteidiger, die Richter wurden, immer einen Hauch von Loyalität für den Angeklagten auf die Richterbank mitnahmen.
    »Das kann nichts Gutes heißen.«
    »Jetzt mal doch nicht immer gleich den Teufel an die Wand. Es wird schon klappen. Bitte setz dich. Du machst mich ganz nervös.«
    »Ist Judy Champagne immer noch aktiv? Vielleicht können wir es ihr vorlegen.«
    Judy Champagne war eine ehemalige Anklägerin, die mit einem ehemaligen Polizisten verheiratet war. Es hieß, er fing die Fische, und sie briet sie. Sobald sie Richterin geworden war, war Bosch mit seinen Anträgen mit Vorliebe zu ihr gegangen. Nicht, weil sie auf der Seite der Cops stand. Das war nicht der Fall. Sie war absolut fair, und das war es, worauf Bosch zählen konnte.
    »Sie ist immer noch Richterin, aber wir können hier mit unseren Anträgen nicht hausieren gehen. Das weißt du ganz genau, Harry. Und würdest du dich bitte endlich setzen? Ich muss dir was zeigen.«
    Bosch setzte sich auf den Stuhl neben ihr.
    »Was?«
    »Ich habe hier Burkharts Bewährungsunterlagen.«
    Sie zog einen Ordner aus ihrer Tasche, öffnete ihn und schob ihn auf dem niedrigen Tisch vor Bosch hin. Sie tippte mit einem Fingernagel auf einen Entlassungsschein. Bosch beugte sich darüber und las.
    »Am 1. Juli 1988 aus Wayside entlassen. Meldete sich am 5. Juli bei seinem Bewährungshelfer in Van Nuys.«
    Bosch richtete sich wieder auf und sah Rider an.
    »Dann kommt er also in Frage.«
    »Unbedingt. Sie haben ihn am 26. Januar wegen Verwüstung der Synagoge festgenommen. Er stellte keine Kaution und wurde nach entsprechendem Hafterlass fünf Monate später entlassen. Er kommt hierfür unbedingt in Frage, Harry.«
    Bosch durchfuhr es wie ein leichter Stromstoß. Alles schien sich noch besser ineinander zu fügen.
    »Okay, gut. Hast du den Antrag entsprechend abgeändert, um auch ihn einzuschließen?«
    »Ich habe ihn mit eingebaut, aber nicht zu stark. Das direkte Bindeglied ist wegen der Waffe nach wie vor Mackey.«
    Bosch nickte und schaute zu dem leeren Schreibtisch, an dem normalerweise die Sekretärin der Richterin saß. Auf dem Namensschild stand KATHY CHRZANOWSKI, und Bosch fragte sich, wie das ausgesprochen wurde und wo sie war. Dann beschloss er, nicht daran zu denken, was im Richterzimmer vor sich ging.
    »Willst du das Neueste von Commander Garcia hören?«, fragte er.
    Rider

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