Vergessene Welt
stand.
Levine brachte
ihn hastig zum Schweigen.
»Aber Señor«,
protestierte er und wies über die Insel. »Wir sind allein hier.«
Levine
schüttelte verärgert den Kopf. Er war während der Bootsfahrt mit Diego alles
genau durchgegangen. Kein Wort mehr, sobald sie auf der Insel waren. Keine
Haarpomade, kein Rasierwasser, keine Zigaretten. Sämtliche Nahrungsmittel in
Plastik eingeschweißt. Alles mit größter Sorgfalt gepackt. Nichts, das Gerüche
produzierte oder Geräusche machte. Immer und immer wieder hatte er Diego eingeschärft,
wie wichtig diese Vorsichtsmaßnahmen seien.
Aber jetzt wurde
offensichtlich, daß er nicht zugehört hatte. Er begriff es einfach nicht.
Levine knuffte Diego wütend und schüttelte noch einmal den Kopf.
Diego lächelte.
»Señor, bitte. Hier gibt’s doch nur Vögel.«
In diesem
Augenblick hörten sie ein tiefes, grollendes Geräusch, einen unirdischen Schrei
von irgendwo aus dem Wald unter ihnen. Einen Augenblick später kam ein Antwortschrei
aus einem anderen Teil des Waldes.
Diego riß die
Augen auf.
Vögel? Levine formte
das Wort mit dem Mund.
Diego schwieg.
Er biß sich auf die Lippe und starrte auf den Wald hinunter.
Im Süden sahen
sie eine Stelle, wo die Baumwipfel sich zu bewegen begannen, ein ganzer Abschnitt
des Dschungels schien plötzlich lebendig zu werden, als würde er von einer
Windbö erfaßt. Aber der Rest des Walds bewegte sich nicht. Es war nicht der
Wind.
Diego
bekreuzigte sich hastig.
Sie hörten noch
mehr Schreie, fast eine Minute lang, und dann legte sich wieder Stille über die
Insel.
Levine verließ
den Grat und stieg den Dschungelhang hinunter tiefer ins Innere der Insel.
Er bewegte sich schnell, hielt den Blick
auf der Suche nach Schlangen immer zum Boden gerichtet, als er plötzlich hinter
sich ein leises Pfeifen hörte. Er drehte sich um und sah, daß Diego nach links
deutete.
Levine machte
kehrt, schob einige Farnwedel beiseite und folgte Diego nach Süden. Augenblicke
später stießen sie auf zwei parallele Spuren im Waldboden, zwar längst von Gras
und Farnen überwuchert, doch noch deutlich identifizierbar als alter Fahrweg,
der mitten durch den Dschungel führte. Natürlich würden sie ihm folgen. Levine
wußte, daß sie auf einem solchen Pfad viel schneller vorwärts kamen.
Er deutete, und
Diego nahm den Rucksack ab. Jetzt war Levine an der Reihe, ihn zu tragen. Er
schnallte ihn sich um und zog die Gurte straff. Schweigend setzten sie sich auf
dem Pfad wieder in Bewegung.
Stellenweise war
die Fahrspur kaum noch zu erkennen, so dicht hatte der Dschungel sie überwuchert.
Ganz offensichtlich hatte diesen Pfad seit vielen Jahren niemand mehr benutzt,
und der Dschungel war immer bereit zur Rückkehr.
Diego hinter ihm
grunzte und fluchte leise. Levine drehte sich um und sah, daß er angewidert den
Fuß hob; er war in einen Haufen grünen Tierkot getreten. Levine ging zu ihm.
Diego kratzte
sich mit einem Farnstengel den Stiefel sauber. Die Ausscheidung schien aus hellen
Heupartikeln zu bestehen, vermischt mit grünem Material. Die Masse war leicht
und bröselig – getrocknet, alt. Geruch war keiner festzustellen.
Levine suchte
sorgfältig den Boden ab, bis er den eigentlichen Haufen fand. Er war von
normaler Form, mit einem Durchmesser von etwa zwölf Zentimetern. Und stammte eindeutig
von einem großen Pflanzenfresser.
Diego sagte
nichts, doch seine Augen waren weit aufgerissen.
Levine
schüttelte den Kopf und marschierte weiter. Solange sie Spuren von Pflanzenfressern
sahen, brauchten sie sich keine Sorgen zu machen. Zumindest keine großen. Trotzdem
legte er die Hand auf die Pistole, wie zur Beruhigung.
Sie kamen an einen Bach mit schlammigen
Rändern an beiden Seiten. Levine blieb stehen. Im Schlamm sah er deutliche
dreizehige Fußabdrücke, einige davon ziemlich groß. Seine Hand paßte mit
gespreizten Fingern locker in diese Abdrücke, es war sogar noch Platz übrig.
Als er hochsah,
bekreuzigte Diego sich schon wieder. In der anderen Hand hielt er das Gewehr.
Sie rasteten an
dem Bach und lauschten dem sanften Gurgeln des Wassers. Etwas Glänzendes
funkelte im Bach und zog Levines Aufmerksamkeit auf sich. Er bückte sich und
fischte es heraus. Es war eine Glasröhre, etwa von der Größe eines Bleistifts.
Er sah, daß es sich um eine Pipette handelte, wie sie in Laboren auf der ganzen
Welt verwendet werden. Levine hielt sie gegen das Licht, drehte sie in den
Fingern. Komisch, dachte er. Eine Pipette wie diese
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