Vergessene Welt
war es nur noch eine
30-Zentimeter-Schüssel. Und jetzt überhaupt keine Schüssel mehr, nur noch
diesen Handapparat. Nicht schlecht, wenn ich das selber sagen darf. Mal sehen,
ob er antwortet.« Er schaltete den Raumlautsprecher zu. Sie hörten, wie die
Verbindung hergestellt wurde, dann statisches Rauschen.
»So wie ich
Richard kenne«, sagte Thorne, »hat er wahrscheinlich einfach sein Flugzeug
verpaßt oder vergessen, daß er heute wegen der Schlußabnahme wieder hiersein
sollte. Und wir sind so ziemlich fertig. Wenn du siehst, daß wir nur noch an
den Außenverstrebungen und der Polsterung arbeiten, heißt das, die Sache ist so
gut wie abgeschlossen. Er wird uns aufhalten. Das ist sehr rücksichtslos von
ihm.« Das Telefon klingelte, eine Reihe elektronischer Pieptöne. »Wenn ich zu
ihm nicht durchkomme, versuche ich es bei Sarah Harding.«
»Sarah Harding?«
fragte Kelly und hob den Kopf.
»Wer ist Sarah
Harding?« fragte Arby.
»Nur die
berühmteste Verhaltensforscherin der Welt, Arb.« Sarah Harding war eine von
Kellys persönlichen Heldinnen. Kelly hatte alles über sie gelesen, was sie in
die Finger bekommen konnte. Sarah Harding war eine arme Stipendiats-Studentin
an der University of Chicago gewesen, aber jetzt, mit 33, war sie Assistenzprofessorin
in Princeton. Sie war schön, aber unabhängig, eine Rebellin, die ihren eigenen
Weg ging. Sie hatte sich für das Leben einer Wissenschaftlerin vor Ort in der
Natur entschieden und lebte in Afrika, wo sie Löwen und Hyänen studierte. Sie
war berühmt für ihre Zähigkeit. Als einmal ihr Landrover unterwegs zusammengebrochen
war, war sie alleine 20 Meilen durch die Savanne marschiert und hatte die Löwen
mit Steinen verscheucht.
Auf Fotos
posierte Sarah für gewöhnlich in Shorts und einem Khaki-Hemd und einem Fernglas
um den Hals neben einem Landrover. Mit ihren kurzen dunklen Haaren und ihrem
muskulösen Körper sah sie zugleich derb und ungeheuer attraktiv aus. Zumindest
wirkte sie so auf Kelly, die sich Fotos immer sehr genau ansah und sich jedes
Detail einprägte.
»Noch nie von
ihr gehört«, sagte Arby.
Thorne sagte: »Sitzt
wohl zu viel vor deinem Computer, Arby?«
»Nein«,
erwiderte Arby. Kelly sah, daß Arby die Schultern hoch- und den Kopf einzog, so
wie er es immer tat, wenn er sich kritisiert fühlte. Schmollend fragte er:
»Verhaltensforscherin?«
»Das stimmt«,
sagte Thorne. »Ich weiß, daß Levine in den letzten Wochen ein paarmal mit ihr
gesprochen hat. Sie hilft ihm mit all dieser Ausrüstung da, wenn’s dann endlich
losgeht mit seiner Expedition. Oder sie berät ihn. Oder sonst was. Vielleicht
läuft die Verbindung aber auch über Malcolm. Schließlich war sie mal in Malcolm
verliebt.«
»Das glaube ich
nicht«, sagte Kelly. »Vielleicht war er in sie verliebt …«
Thorne sah sie
an. »Kennst du sie?«
»Nein. Aber ich
weiß über sie Bescheid.«
»Verstehe.«
Thorne sagte nichts mehr. Er sah alle Anzeichen von Heldenverehrung, und er war
froh darüber. Ein Mädchen konnte Schlimmeres tun, als eine Sarah Harding zu
bewundern. Wenigstens war sie keine Sportlerin oder ein Rockstar. Genaugenommen
war es sogar erfrischend, daß ein Kind jemanden bewunderte, der wirklich versuchte,
Wissen zu fördern …
Das Telefon
klingelte weiter. Aber niemand meldete sich.
»Na, jetzt
wissen wir, daß Levines Ausrüstung in Ordnung ist«, sagte Thorne. »Weil der
Anruf bis zu seinem Apparat durchkommt. Wenigstens das wissen wir.«
»Können Sie ihn
lokalisieren?« fragte Arby.
»Leider nein.
Und wenn wir so weitermachen, leeren wir wahrscheinlich die Feldbatterie, was
bedeutet –«
Ein Klicken war
zu hören und dann eine Männerstimme, erstaunlich deutlich und klar: »Levine.«
»Okay. Gut. Er
ist da«, sagte Thorne nickend. Dann drückte er die Sprechtaste seines Apparats.
»Richard? Doc Thorne hier.«
Aus dem Gerät
kam ein anhaltendes statisches Zischen. Dann ein Husten, und eine heisere
Stimme sagte: »Hallo? Hallo? Hier Levine.«
Thorne betätigte
die Sprechtaste. »Richard. Hier Thorne. Können Sie mich empfangen?«
»Hallo«, sagte
Levine am anderen Ende. »Hallo?«
Thorne seufzte.
»Richard. Sie müssen die S-Taste für Senden drücken. Over.«
»Hallo?« Noch
ein Husten, tief und krächzend. »Hier ist Levine. Hallo?«
Thorne
schüttelte entrüstet den Kopf. »Offensichtlich weiß er nicht, wie er es zu bedienen
hat. Verdammt. Ich bin doch alles ganz genau mit ihm durchgegangen. Aber er hat
natürlich nicht aufgepaßt.
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