Vergessene Welt
Klippen
zugetrieben wurde. Das Donnern der Brandung wurde immer lauter, sie strampelte
noch einmal, und plötzlich erfaßte sie eine riesige Welle, die sie hochhob und
auf die Felsen zutrug. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Sie hob den Kopf
und sah nur Dunkelheit, pechschwarze Dunkelheit.
Trotz ihrer
Erschöpfung und ihrer Schmerzen erkannte sie, daß sie im Innern der Höhle war.
Die Welle hatte sie in die Höhle gespült. Es war zu dunkel, um die Wände zu beiden
Seiten erkennen zu können. Die Strömung war sehr stark, trieb sie immer tiefer
hinein. Sie rang nach Atem, trat Wasser. Einmal scheuerte sie über Fels, ein
brennender Schmerz durchzuckte ihren Körper, dann wurde sie weiter in die Tiefe
der Höhle getrieben. Aber jetzt gab es eine Veränderung. An der Decke sah sie
ein schwaches Licht, und das Wasser schien zu leuchten. Die Strömung ließ nach.
Es fiel ihr leichter, den Kopf über Wasser zu halten. Vor sich sah sie helles,
gleißendes Licht: das Ende der Höhle.
Im nächsten
Moment wurde sie hinausgespült, ganz plötzlich und überraschend, sah Sonnenlicht
und freien Himmel. Sie fand sich in einem breiten, schlammigen Fluß wieder, mit
üppiger Vegetation an beiden Ufern. Es war heiß und windstill; in der
Entfernung hörte sie die Schreie von Dschungelvögeln.
Vor sich, an
einer Biegung des Flusses, sah sie das Heck von Dodgsons Boot, das bereits am
Ufer vertäut war. Von den Leuten war nichts zu sehen, aber sie wollte sie auch
gar nicht sehen.
Sie nahm all
ihre Kraft zusammen, kraulte ans Ufer und klammerte sich an einer der Mangroven
fest, die sich dicht an den Wasserrand drängten. Sogar zum Festhalten fehlte
ihr plötzlich die Kraft, und so schlang sie den Arm um eine Wurzel, legte sich
auf den Rücken und ließ sich in der sanften Strömung treiben. Schwer atmend sah
sie zum Himmel hoch. Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, aber schließlich
fühlte sie sich stark genug, um sich an den Mangroven entlangzuhangeln, bis sie
zu einer schmalen Lücke im Bewuchs kam, einem schlammigen Uferstreifen. Als sie
sich aus dem Wasser ans glitschige Ufer schleppte, entdeckte sie mehrere
ziemlich große Tierspuren im Schlamm. Es waren merkwürdige, dreizehige
Abdrücke, und jede Zehe endete in einer großen Klaue …
Sie bückte sich,
um sich die Abdrücke genauer anzusehen, und plötzlich spürte sie, wie die Erde
vibrierte und unter ihren Händen erzitterte. Ein großer Schatten fiel über sie,
und sie sah verblüfft zum ledrigen, blassen Unterbauch eines riesigen Tieres
hoch. Sie war zu schwach, um zu reagieren, um auch nur die Hand zu heben. Das
letzte, was sie sah, war ein riesiger Fuß, der platschend neben ihr im Schlamm
landete, und dann hörte sie ein sanftes Schnauben. In diesem Moment
überwältigte sie die Erschöpfung. Sie brach zusammen und fiel auf den Rücken. Sarah
Harding verdrehte die Augen und verlor das Bewußtsein.
Dodgson
Wenige Meter vom Flußufer entfernt
kletterte Lewis Dodgson in seine Jeep-Wrangler-Sonderanfertigung und knallte
die Tür zu. Howard King saß händeringend auf dem Beifahrersitz. »Wie konnten
Sie ihr das nur antun?« fragte er.
»Was denn?«
fragte George Baselton von der Rückbank her.
Dodgson
antwortete nicht. Er drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang knatternd an.
Er schaltete den Vierradantrieb zu und fuhr den Hügel hinauf. Das Boot blieb
hinter ihnen am Ufer zurück.
»Wie konnten Sie
nur?« fragte King erregt. »Ich meine, mein Gott –«
»Was passiert
ist, war ein Unfall«, sagte Dodgson.
»Ein Unfall? Ein Unfall? «
»Genau, ein
Unfall«, erwiderte Dodgson ruhig. »Sie ist über Bord gefallen.«
»Ich habe nichts
gesehen«, sagte Baselton.
King schüttelte
den Kopf. »Mein Gott, wenn da jemand Nachforschungen anstellt und –«
»Na und?« hielt
ihm Dodgson entgegen. »Wir hatten rauhe See, sie stand im Bug, eine große Welle
traf uns, und sie wurde über Bord gespült. Sie war keine sehr gute Schwimmerin.
Wir haben die ganze Umgebung nach ihr abgesucht, aber es war hoffnungslos. Ein
sehr bedauerlicher Unfall. Weswegen machen Sie sich also Sorgen?«
»Weswegen ich
mir Sorgen mache?«
»Ja, Howard.
Wegen was genau machen Sie sich verdammt noch mal Sorgen?«
»Ich hab’s gesehen ,
um Himmels willen –«
»Nein, haben Sie
nicht«, sagte Dodgson.
»Ich habe
überhaupt nichts gesehen«, sagte Baselton. »Ich war die ganze Zeit unter Deck.«
»Schön für Sie«,
sagte Howard King. »Aber was ist, wenn
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