Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
»fahrzeuggestützten«, das heißt mobilen Kränen, die bei öffentlichen Hinrichtungen zum Einsatz kommen.
Eine große Mehrheit der Deutschen will von einer besonderen deutschen Verantwortung für Israel nichts wissen. Bei einer Emnid-Umfrage vom November 2011 waren sich 70 Prozent der Befragten der »ernsthaften Gefahr« bewusst, die das iranische Atomprogramm für Israel bedeutet, dennoch sprachen sich 83 Prozent dafür aus, dass Deutschland neutral bleibt, falls es zu einem militärischen Konflikt zwischen Israel und dem Iran kommen sollte. So viel zur Parole: »Wehret den Anfängen!«
Und nun wird es ernst. Rainer Werner Fassbinder lässt in seinem Theaterstück »Der Müll, die Stadt und der Tod« den Antisemiten Hans von Gluck Folgendes sagen: »Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen. Sie haben vergessen, ihn zu vergasen. Das ist kein Witz, so denkt es in mir.« Vor allem wegen dieser Sätze musste sich Fassbinder den Vorwurf gefallen lassen, ein Antisemit zu sein. Aber das war er nicht. Er hat nur genau und gnadenlos die Befindlichkeit eines Antisemiten in eine Formel gepackt. »So denkt es in mir.«
In der Tat denkt das Es im Antisemiten, während das Ich Ausreden erfindet, weil das Über-Ich gelernt hat, dass man nicht Antisemit sein darf. Deswegen berufen sich Antisemiten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf »jüdische Freunde« oder ihre eigene Herkunft, deswegen gerieren sie sich als politische »Antizionisten«, die einen Beitrag zur Befriedung des Nahen Ostens leisten wollen, wobei sie genau wissen, dass sie nur alten Wein in neue Schläuche füllen.
»Und Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da. Wär er geblieben, wo er herkam, oder hätten sie ihn vergast, ich könnte heute besser schlafen«, sagt Hans von Gluck. Tauscht man den »Jud« gegen Israel aus, hat man den schmalen Grat vom Antisemitismus zum Antizionismus überschritten. Und schon wähnt man sich auf der vermeintlich sicheren, politisch-korrekten Seite.
Israel ist im Wellness-Bewusstsein der Deutschen ein Störfaktor. Ein Stachel im Fleisch, ein Steckschuss, der immer wieder Schmerzen verursacht. Israel erinnert die Deutschen nicht nur täglich daran, dass es den Holocaust gegeben hat, es macht ihnen auch bewusst, dass ihre Väter und Großväter mit einem kühnen Projekt gescheitert sind: Europa judenrein zu machen. Denn schlimmer, als ein Verbrechen zu verüben, ist es, ein Verbrechen nicht zu Ende gebracht zu haben. Erinnerungstechnisch wären die Deutschen – aber auch viele Europäer, die mit den Nazis kollaboriert haben – besser dran, wenn die Nazis die »Endlösung« vollendet hätten, wenn also niemand mehr da wäre, der sie daran erinnert, dass sie versagt haben.
Fairerweise muss man hinzufügen, dass Israel zu dieser Einstellung maßgeblich beigetragen hat, indem es sich seit seiner Gründung als das Nachspiel zum Holocaust präsentiert. Es ist keine gute Idee, jeden Staatsgast, kaum dass er in Tel Aviv gelandet ist, nach Yad Vashem zu karren, ihn dort einen Kranz zur Erinnerung »an die sechs Millionen« niederlegen und das übliche »Nie wieder!« ins Gästebuch schreiben zu lassen. Auch wenn es nur ein Ritual ist, das beide Seiten lustlos absolvieren: Irgendwann wird der Bußgang zur Zumutung. Allmächtiger! Nicht schon wieder! Wer sich ständig als Opfer präsentiert, muss damit rechnen, dass das Mitgefühl der Umwelt irgendwann in Aggression umschlägt. Nicht zufällig ist »Du Opfer!« ein auf deutschen Schulhöfen beliebtes Schimpfwort geworden. Wer sich mit seiner Bestimmung als Opfer abgefunden hat, lädt den oder die Täter dazu ein, es noch einmal zu versuchen. Die Frage, ob Israel auch ohne den Holocaust gegründet worden wäre, mag eine interessante Aufgabenstellung für wissenschaftliche Konferenzen und akademische Arbeiten sein, für den Alltag der Israelis und deren Beziehung zur übrigen Welt ist sie vollkommen irrelevant. Die zionistische Bewegung entstand Ende des 19. Jahrhunderts, Herzls »Judenstaat«, der »Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage«, erschien im Jahre 1896.
Wäre Israel tatsächlich nur ein weiterer Kollateralschaden des Zweiten Weltkrieges – wie beispielsweise die deutsche Teilung –, dann müsste man sich in der Tat fragen, warum die Juden ihren Staat nicht irgendwo in Europa, zum Beispiel in
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