Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
der Zionismus sein eigenes Ende erklären würde, denn er fördert und befördert nur den Antisemitismus. Womit ein Klassiker reaktiviert wird: Am Antisemitismus sind nicht die Antisemiten, sondern die Juden schuld, die durch ihr Dasein und ihr Sosein ganz unvoreingenommene Menschen dazu bringen, antisemitische Gefühle zu entwickeln.
Was aber ist es, das einen Kommunalpolitiker aus Duisburg, einen Rentner aus Dortmund und eine Hausfrau aus dem hinteren Kandertal dazu bringt, einen wesentlichen Teil ihres Lebens mit der Palästina-Frage zu verbringen? Kampagnen, Unterschriftenaktionen und Sammlungen zu organisieren, gegen die Zionisten zu agitieren, die Israel-Lobby zu entlarven, sich für die Anerkennung der Hamas und der Hisbollah einzusetzen und Konferenzen zu veranstalten, die mit Appellen an die deutsche Bundeskanzlerin und den amerikanischen Präsidenten enden, den Palästinensern zu ihrem Recht zu verhelfen? Was ist es, das sie antreibt? Ein besonders hoch entwickelter Sinn für Gerechtigkeit und Menschenrechte? Dann würden sie sich für die Tibeter einsetzen, deren Land 1950 von den Chinesen überrannt wurde. Aber Tibet ist für sie kein Thema. Auch nicht der Aufstand in Syrien, der innerhalb weniger Monate über 5.000 Menschen das Leben gekostet hat. Denn weder in Tibet noch in Syrien ist irgendeine »zionistische« Verwicklung erkennbar. Und auch die deutsche Enthaltung in der Libyen-Frage lässt sich mit den Prinzipien einer an den Menschenrechten orientierten Politik nicht vereinbaren.
So muss man vermuten, dass den Antizionisten auch die Palästinenser egal sind, dass sie nur als Alibi und Ausrede benutzt werden, um Israel auf der Anklagebank halten zu können. Als bei den internen Auseinandersetzungen zwischen der Hamas und der Fatah erst Fatah-Leute von den Hamas-Leuten und dann Hamas-Leute von den Fatah-Leuten massakriert wurden, hüllten sich die deutschen Palästinafreunde in vernehmbares Schweigen. Zu Brutalitäten Stellung zu beziehen, die von der einen Palästinenserfraktion an der anderen begangen werden, ist ihre Aufgabe nicht. Die Antizionisten vom Dienst wachen erst auf, wenn Israel ins Spiel kommt. Dann chartern sie Schiffe, laden sie mit alten Sachen voll und segeln nach Gaza, um die Welt auf die Not der Palästinenser aufmerksam zu machen.
Es gibt zum Antizionismus nur eine Parallele: den Antiamerikanismus. Der ist sogar noch älter, er entstand schon Anfang des 19. Jahrhunderts zur Zeit der deutschen Romantik. Der Begründer des intellektuellen Antiamerikanismus, der österreichische Dichter Nikolaus Lenau, wanderte 1832 in die USA aus, um dort, wie viele Europäer, ein neues Leben anzufangen. Nachdem er als Geschäftsmann und Farmer gescheitert war, kehrte er nach nur einem Jahr nach Europa zurück, um fortan den Materialismus der Amerikaner anzuprangern und den Mangel an Kultur in den »Verschweinten Staaten« zu beklagen. Seine anfängliche Amerika-Begeisterung war in blanken Hass umgeschlagen. »Das scheint mir von ernster, tiefer Bedeutung zu sein, dass Amerika keine Nachtigall hat«, schrieb er aus den USA in die alte Heimat.
Seitdem wartet das deutsche Feuilleton darauf, dass die USA kollabieren. Die Lieblingsthemen der deutschen USA-Korrespondenten sind Armut, Gewalt, Korruption – und »der tägliche Faschismus« in den USA. So hieß auch ein Buch, das Reinhard Lettau, Deutscher mit amerikanischem Pass und Mitglied der »Gruppe 47«, im Jahre 1971 veröffentlichte. Die »Evidenz aus sechs Monaten« war das Ergebnis intensiver Zeitungslektüre, eine Nachrichten-Collage über Amtsmissbrauch und Behördenwillkür, der Lettau den Titel » Täglicher Faschismus« gab, um darauf hinzuweisen, »dass die Indizien für den herannahenden Faschismus sich täglich und immer schneller verstärken – dass für seine Opfer die Unterschiede zwischen dem täglichen, inzipienten amerikanischen Faschismus und dem offenen, erklärten Faschismus nicht existieren«.
Nur vier Jahre zuvor, 1967, war Hans Magnus Enzensberger zu einem Studienaufenthalt an einer amerikanischen Universität aufgebrochen, den er aber bald für beendet erklärte, um stattdessen nach Kuba zu fahren. Er begründete diesen Schritt in einem »offenen Brief«, der in der »Zeit« zu lesen war: »Ich halte die Klasse, welche in den Vereinigten Staaten von Amerika an der Herrschaft ist, und die Regierung, welche die Geschäfte dieser Klasse führt, für gemeingefährlich … Ihr Ziel ist die politische, ökonomische und
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