Vergesst Auschwitz!: Der deutsche Erinnerungswahn und die Endlösung der Israel-Frage (German Edition)
Wie die USA mit den Indianern, so Israel mit den Palästinensern.« Der Mann zur Rechten heißt Walter Herrmann, ist 72 Jahre alt und soll mal als Lehrer an einer Volksschule gearbeitet haben. Ende der achtziger Jahre wechselte er den Beruf und wurde politischer Aktivist. Nachdem er seine Wohnung durch Zwangsräumung verloren hatte, richtete er an einer belebten Kreuzung in der Innenstadt eine »Klagemauer zur Wohnungsnot« ein. Während des Golfkrieges 1991 verlegte Herrmann seine Protestaktion auf die Domplatte und benannte sie um: »Klagemauer für den Frieden«. 1998 wurde ihm der »Aachener Friedenspreis« verliehen. Im Sommer 2004 rückte er die Lage in Palästina in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten. Seitdem sprechen die Kölner von einer »Palästinawand«. Denn Herrmann ergreift eindeutig Partei, für die Palästinenser und gegen die Israelis, denen er Völkermord an den Palästinensern vorwirft, die unter der israelischen Besatzung so leiden müssten wie die Juden unter den Nazis.
Seitdem ist die »Kölner Klagemauer«, wie die Installation auch genannt wird, zu einem Politikum geworden. Was in Köln so viel bedeutet, dass die einen »Jede Jeck is anders« sagen und die anderen staunen: »Dat der dat darf!« Walter Herrmann selbst hält sich an das Sprichwort: »Do kanns mich krützwies am Aasch lecke!« Jeden Tag kommt er auf seinem Fahrrad mit Anhänger zur Domplatte geradelt, baut die mobile »Klagemauer« auf und bezieht Stellung. Abends, wenn es dunkel wird, baut er das Ganze wieder ab und radelt heim, wohin auch immer. Bei schlechtem Wetter bleibt er zu Hause und »aktualisiert« sein Werk. Im Januar 2010 fand er in einer Zeitschrift ein Foto, das er sofort kopierte, vergrößerte und in die »Klagemauer« einbaute. Auf dem Bild ist eine korpulente, aber kopflose Gestalt zu sehen, die sich daranmacht, ein auf einem Teller vor ihr liegendes Kind mit Messer und Gabel zu zerstückeln. Auf dem Messer steht das Wort »GAZA«, neben dem Teller ein mit roter Flüssigkeit – Blut? – gefülltes Glas; die Gestalt trägt ein Lätzchen um den Hals, auf dem ein Davidstern prangt.
Man muss nicht Abonnent des »Stürmer« gewesen sein, um zu erkennen, von welchem Geist diese Zeichnung inspiriert worden ist. Sie ist so eindeutig antisemitisch, wie das Kölsch obergärig ist. »Ich bin nicht der Meinung, dass Antisemitismus durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist«, sagt Gerd Buurmann. 1976 im Emsland geboren, hat er Soziologie, Philosophie und Literaturwissenschaft studiert. Seit 2001 lebt er als Theaterleiter und Schauspieler in Köln. Eines Tages zu Beginn des Jahres 2010 ging Buurmann mit seiner Frau am Dom spazieren. Das Paar blieb an der »Klagemauer« stehen. Buurmann sah das Gaza-Bild, zog sein Handy aus der Manteltasche und wählte 110. »Für mich war das ein Notfall.«
Minuten später waren zwei Polizisten da. Ein wenig widerwillig schrieben sie eine Anzeige wegen Volksverhetzung auf. Die Staatsanwaltschaft nahm sich der Sache an, prüfte und kam im April zu dem Ergebnis, der Tatbestand der Volksverhetzung sei nicht erfüllt. Es werde »nicht verkannt«, teilte der ermittelnde Staatsanwalt dem Anzeigenerstatter Buurmann mit, dass das Plakat »schmerzliche Erinnerungen an die antijüdischen Ritualmordlegenden aus dem Mittelalter und an hetzerische Bilddarstellungen von Juden aus der Zeit des Nationalsozialismus wachrufen kann«, aber es fehle ihm »an bestimmten anatomischen Stereotypen, die den Juden schlechthin charakterisieren sollen«, unter anderem an der »Krummnase«. Der Bescheid der Staatsanwaltschaft ergänzt die Zeichnung in kongenialer Weise. Wo keine »Krummnase« zu sehen ist, kann es auch keinen Antisemitismus geben. Die Karikatur sei zwar »israelfeindlich, aber nicht antisemitisch«.
Der Kölner Hausfrau Monika Schmitz, die ebenfalls Anzeige erstattet hatte, teilte die Staatsanwaltschaft mit, sie sei überhaupt nicht »strafantragsberechtigt«, da sie weder Jüdin noch Israelin sei. Womit die Staatsanwaltschaft klar ihre Ansicht zum Ausdruck brachte, nur Juden und Israelis könnten sich von antisemitischen Darstellungen beleidigt fühlen, nicht aber ganz normale Deutsche wie Herr Buurmann oder Frau Schmitz. Eine Beschwerde gegen die Einstellung der Verfahren wurde vom Kölner Generalstaatsanwalt mit einer Begründung zurückgewiesen, die noch einen Zacken schärfer war. Es sei »nicht zu verkennen, dass sich Antisemitismus moderner Prägung auch gegen den Staat Israel,
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