Vergib uns unsere Sünden - Thriller
schaute Riehl an, Riehl schaute erst Littman, dann den Dekan an.
»Geben Sie mir eine ehrliche Antwort, und ich helfe Ihnen«, sagte Edgewood. »Wenn Sie mich auf den Arm nehmen wollen, muss ich Sie bitten zu gehen. Ich sage das mit der gebotenen Höflichkeit, schließlich bin ich ein verantwortungsvolles und wohlwollendes Mitglied unserer Gesellschaft, aber dann muss ich Sie bitten zu gehen.«
»Professor Robey hilft uns bei einer Ermittlung«, sagte Littman.
»Haben Sie ihn verhaftet?«, fragte Edgewood.
»Nein, wir haben ihn nicht verhaftet.«
»Und wo befindet er sich jetzt?«
»Bei einem unserer Detectives«, erklärte ihm Littman.
»Und er wird befragt zu einer Straftat, die er begangen haben oder über die er etwas wissen könnte?«
»Dazu dürfen wir Ihnen nichts sagen«, sagte Riehl.
Edgewood nickte. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und drehte sich ein Stück zum Fenster. »John Robey ist seit Mai 1998 bei uns. Wir schätzen uns außerordentlich glücklich, ihn hierzuhaben. Er ist ein großer Gewinn für das College. Viele Studenten kommen nur wegen John Robey zu uns. Ihre Eltern kennen ihn - seinen Namen und seinen Ruf - und legen großen Wert darauf, das zarte Pflänzchen des schriftstellerischen Talents ihrer Kinder in seinen fachkundigen Händen zu wissen.« Edgewood atmete tief ein und seufzte. »Mir ist John Robey ein Rätsel, meine Herren. Er maßt sich keine Bedeutung an, obwohl er um seine Bedeutung weiß. Er geht die Dinge nicht auf eine intensive Weise an, dabei ist er der intensivste Mensch, der mir je begegnet ist. Er ist ein schweigsamer Mann …« Edgewood wandte kurz den Blick zur Seite. »Aber die Chinesen sagen ja, ein Schweigsamer weiß nichts oder er weiß so viel, dass Worte überflüssig sind. Wenn das stimmt, würde ich John Robey in die zweite Kategorie einordnen. Soweit ich das beurteilen kann, hat er keine Laster. Er trinkt nicht, er raucht nicht, und was die Frauen angeht, könnte er so ziemlich jede zur Ehefrau, Freundin oder Geliebten haben, aber er ist solo. Ist er schwul? Sicher nicht. Nimmt er Drogen? Wenn ja, verbirgt er es so gekonnt, dass ich jeden Eid schwören würde, dass er keine nimmt und nie welche genommen hat. Und was ich von ihm als Gelehrten und Dozenten halte? Ich habe die höchste Meinung von ihm, was nicht unbedingt heißt, dass ich mit allen seinen Lehrmethoden einverstanden wäre.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Littman. »Womit sind Sie nicht einverstanden?«
Edgewood lächelte vielsagend. Er ging zum Fenster, bleiverglaste Scheiben mit roten und grünen Rauten als Mittelstück. Durch das Glas waren schmutzig braune Grünstreifen,
frisch gefegte Wege, für den Winter vorbereitete Blumenbeete zu sehen.
»Seit John Robey bei uns ist, habe ich eine nicht geringe Anzahl weinender Studenten hier bei mir sitzen gehabt. Er kritisiert seine Schützlinge nicht, aber er verlangt ihnen alles ab. Vielleicht, weil er ein leidenschaftlicher Mensch ist …« Edgewood verschränkte die Hände hinter dem Rücken und schloss einen Moment lang die Augen. »Die akademische Welt ist eine ganz eigene Welt, meine Herren«, sagte er mit leiser Stimme. »Während Ihnen vielleicht eine Verfolgungsjagd im Auto oder eine Schießerei das Adrenalin durch die Adern jagt, holen wir uns in den akademischen Kreisen unsere Kicks aus ernsteren, kopflastigeren Dingen. Einem neuen Text von Norman Mailer. Einer Sammlung bisher unbekannter Gedichte von Emily Dickinson.« Er lächelte. »Ich kann verstehen, dass solche Dinge Ihnen absolut uninteressant erscheinen, sie sind es vielleicht auch, aber Tatsache ist nun einmal, dass die Menschen sich schon Geschichten erzählt haben, als noch keiner auf die Idee gekommen ist, in Häuser einzubrechen und Dinge zu stehlen. Vielleicht darf man John Robey als einen Mann der Extreme bezeichnen. Er toleriert weder Selbstzufriedenheit noch eine unprofessionelle Einstellung oder Mittelmäßigkeit. Es ist ihm lieber, man legt ein trostloses Stück Prosa vor, an das man glaubt, als ein großartiges Stück Prosa, das einem allzu leicht von der Hand ging. Er quält seine Studenten nicht mit dem, was sie tun, sondern damit, was sie nicht tun. Er setzt unglaublich hohe Standards, und er verlangt von den Studenten, dass sie ihr Bestes geben, diesen Standards gerecht zu werden.«
»Sie sprachen von Studenten, die geweint haben«, sagte Riehl.
Edgewood verließ das Fenster und setzte sich wieder hinter seinen Schreibtisch. »Geweint, ja. Weil sie
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