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Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ich jetzt stehe.
    Ich weiß, dass ich müde bin. Nicht etwa, weil es mir an Schlaf mangelt. Zur Zeit schlafe ich viel zu viel. Nein, es ist eine andere Müdigkeit.
    Es ermüdet mich, diese Dinge mit mir herumzutragen.
    Da ist die stille Hälfte. Wir alle haben eine stille Hälfte. In der finden sich unsere Sünden und Vergehen, unsere Verbrechen und Schandtaten, die Aussetzer unseres Verstandes und Glaubens und unserer Ehrhaftigkeit, unsere Laster und Missetaten und all die Male, die wir in Ungnade fallen …
    Die stille Hälfte gibt keine Ruhe; sie folgt uns wie der sprichwörtliche Schatten, um dann mit unvergleichlicher Geduld und Standhaftigkeit zu warten. Wie heißt es? Letztlich sterben sie alle an Missetaten und Atemnot.
    Ich trage genug für einen Mann. Wirklich? Ich trage genug für drei oder vier oder sieben Männer.
    Es hat mich eingeholt, vermute ich, und wenn ich in meine stille Hälfte hineinhöre, dann weiß ich, dass es nur eine Möglichkeit gibt, diese Sache auszutreiben.
    Man muss die Wahrheit sagen. Das Licht der Wahrheit in die dunkelsten Ecken tragen, ohne sich darum zu kümmern, wen es auf dem Weg dorthin beleuchtet.
    Dann erst findet alles ein Ende. Ich kann nur eines tun … das Licht vom Damals ins Heute tragen. Die Schatten erhellen. Den Leuten zeigen, was sich dort verbirgt.
    Dabei wollen sie es gar nicht wissen - wollten es nie, werden es nie wollen.
    Zu spät. Jetzt werden sie es erfahren.

4
    Am selben Nachmittag machten Miller und Roth sich an die Arbeit, Miller bereits unter einem gewissen Druck angesichts dessen, was vor ihnen lag. Killarney hatte noch Fragen beantwortet, nachdem er mit seinem Briefing fertig war, und Lassiter hatte ihnen eingebläut, dass er Resultate sehen wollte. Killarney würde die Ermittlungen begleiten, ohne sich einzuschalten, allerdings wollte er über ihre Fortschritte auf dem Laufenden gehalten werden.
    Millers ursprünglicher Gedanke - dass er auf keinen Fall in einen langwierigen, viel beachteten Mordfall verwickelt werden wollte - hatte inzwischen der Hoffnung Platz gemacht, dass ihm vielleicht gar nichts Besseres passieren konnte. Die Sache begann bereits, seine Gedanken von dem Geschehenen abzulenken.
    Miller klangen Killarneys Worte noch im Ohr, als er und Roth das Zweite Revier verließen, um sich auf den Weg in die Columbia Street zu machen. Roth hatte das Foto von Catherine Sheridan in der Tasche. Das Foto - von ihrem Passbild gezogen und digital bearbeitet, wie Reid vorgeschlagen hatte, um Kontrast und Farben zu verbessern - hatte jetzt das Format einer Postkarte. Miller hatte das Bild eingehend betrachtet, versucht, die Frau zu sehen. Ihr Ausdruck hatte etwas Besonderes, Faszinierendes, ohne dass Miller Worte dafür fand. Man bekam den Eindruck, ihr Leben könnte so dramatisch verlaufen sein, wie es beendet worden war.
    Der gestrige Tag, Samstag, der 11. November, war Veterans Day gewesen. Ein ungewöhnlich kalter Tag, denn eigentlich schien in Washington meistens die Sonne, und im November fielen die Temperaturen selten einmal unter den Gefrierpunkt. Ein kleines Thermometer auf der Veranda des Sheridan-Hauses hätte vielleicht zwei Grad über null gezeigt.
Am Veterans Day standen Prozessionen und Gedenkmärsche bei der Mehrzahl der Washingtoner im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; der Friedhof in Arlington, Kinder zu Zwergen degradiert von Statuen aus rostfreiem Stahl, die Amerikas Niederlage in Korea symbolisieren. Ein Tag des Gedenkens, der Trauer; die Inschrift auf dem Mahnmal für den Zweiten Weltkrieg: »Jetzt schweigen die Waffen … Es regnet kein Tod mehr vom Himmel - die Meere dienen allein dem Handel - allenthalben gehen die Menschen aufrecht im Sonnenlicht. Die Welt feiert still den Frieden.« Aus der Ferne schallte der Klang von Militärkapellen herüber, Sousas Märsche im Wettstreit mit dem morgendlichen Brausen und Rumpeln des Berufsverkehrs. Menschen, die respektvoll der Musik lauschten und versuchten, sich zu erinnern, was der Veterans Day eigentlich für sie bedeutete. Ein verlorener Vater, ein Sohn, ein Bruder, ein Nachbar, eine Sandkastenliebe. Menschen blieben einen Moment lang stehen, schlossen die Augen, atmeten einmal tief durch wie im Gebet, nickten kurz und gingen wieder ihres Weges. Die frische Luft hing noch voller Erinnerungen, den Passanten war, als würden sie das Leid, die Sehnsucht, die verborgene Wärme spüren, als sie durch sie hindurchgingen. Für einen Tag war Washington eine Stadt des Erinnerns, eine Stadt

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