Vergib uns unsere Sünden - Thriller
ereifern.«
Marilyn Hemmings erwiderte einen Moment lang nichts, dann seufzte sie demonstrativ in den Hörer. »Wie groß ist die Not, Detective?«, fragte sie.
»Ich kann nicht am Telefon darüber sprechen, Marilyn, wirklich nicht. Ich weiß, es ist spät, und ich wollte Sie nicht belästigen. Urquhart wird es sicher für mich machen …«
»Stecken Sie in Schwierigkeiten? Ich frage Sie jetzt ganz im Ernst, Robert, stecken Sie in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Ich weiß es nicht, Marilyn … Ich kann beim besten Willen nicht sagen, womit wir es hier in Wahrheit zu tun haben.«
»Wissen Sie, was …« Sie zögerte noch. »Verdammter Mist, ich weiß ja selber schon nicht mehr, was ich denken soll. Es ist nach elf. Himmelherrgott, Robert Miller, in was für eine Scheiße haben Sie mich da reingeritten … Ich weiß bald wirklich nicht mehr, was ich noch tun oder sagen soll. In einer halben Stunde bin ich da.«
Ehe Miller antworten konnte, hatte sie aufgelegt.
Miller erwartete Hemmings im Foyer des Gebäudes. Ohne besondere Genehmigung durfte er den Laborbereich der Gerichtsmedizin nicht betreten. Als Hemmings den äußeren
Korridor entlang auf ihn zukam, hob sie nicht einmal den Blick. Sie wirkte reserviert, als sie ihn mit ins Innere hinter den Empfangsbereich nahm. Aus den vielen Nuancen des Blicks, mit dem sie ihn ansah, meinte er herauslesen zu können, dass sie verärgert war. Wohl auch über die Situation, sicher, aber vor allem über ihn.
»Mir gefällt das alles nicht«, bemerkte sie kühl. »Ich habe schon einmal etwas getan, das ich besser nicht hätte tun sollen. Und jetzt holen Sie mich nach Feierabend hierher. Was soll ich denn jetzt machen, Robert? Soll ich meine Stunden eintragen und mir eine Erklärung ausdenken, weshalb ich mitten in der Nacht hier aufkreuze, oder halte ich den Mund, schreibe nur meinen Bericht und warte darauf, dass jemand eins und eins zusammenzählt und mich fragt, was ich hier um diese Zeit zu suchen hatte? Urquhart bin ich eben schon über den Weg gelaufen. Ich hab gesagt, ich hätte etwas vergessen. Klingt prima, oder? Na klar, ich hab etwas im Büro liegen lassen, das ich Samstagabend kurz vor Mitternacht unbedingt noch brauche. Und wenn ich schon mal da bin, dann lass ich mich nicht lumpen und schiebe ganz schnell noch’ne Autopsie ein, weil ich ja eh nichts Wichtiges mehr vorhabe.«
Miller sagte nichts.
»Wo stand das Auto?«
»In den Projects.«
»Wo die farbige Frau gewohnt hat?«
»Ja.«
»Dann ist es derselbe Fall.«
»Vermutlich.«
»Und der anonyme Anruf, den Sie gekriegt haben … War der wirklich so anonym?«
Miller schüttelte den Kopf.
»Er?«
»Ja.«
»Und die Feds haben Ihnen den Fall entzogen, die komplette Kontrolle darüber an sich gerissen, und das hier verheimlichen Sie vor denen. Richtig?«
»Richtig.«
»Und wie steh ich da?«
»Sie haben von nichts gewusst«, sagte Miller. »Sie ziehen die Sache einfach durch und sagen, Sie hätten von nichts gewusst.«
»Aber ich habe etwas gewusst …«
»Deswegen kann man immer noch das Gegenteil behaupten.«
»Ist das vielleicht Ihre Strategie?«, fragte sie, und die Frage hatte eine Spitze, eine geschliffene Spitze, die Miller so zielgenau traf, wie es beabsichtigt war, genau zwischen die Rippen. Eine Frage wie ein Dolchstoß. Haben Sie Brandon Thomas die Treppe runtergestoßen und ihn vorsätzlich getötet? Haben Sie den Mann ermordet und dann aller Welt erzählt, Sie seien unschuldig, es wäre ein Unfall gewesen?
»Nein«, sagte Miller.
»Aber Sie erwarten genau das von mir?«
Miller hielt den Blick zu Boden gesenkt. Er fühlte sich wie erdrückt unter der Last. Er spürte sein Gewissen und die Verantwortung, ein Pflichtgefühl, das Versprechen, das er Natasha Joyce gegeben hatte. Ein Verlustgefühl überkam ihn, Anfang und Ende so vieler Geschichten. Er fühlte sich einsam und müde und krank und verwirrt, und nichts von alledem ergab irgendeinen Sinn, und so langsam zweifelte er, ob es noch Sinn machte, nach einem Sinn zu suchen. Woher nahm dieser John Robey das Recht, einfach in sein Leben einzubrechen und alles in Stücke zu schlagen?
»Und was erwarten Sie von mir?«, fragte Marilyn Hemmings. »Erwarten Sie, dass ich das Gesetz übertrete? Die Vorschriften verletze? Eine Autopsie vornehme ohne offiziellen Bericht?«
»Vorerst interessiert mich nur die Identität des Toten, Marilyn, und sonst nichts. Ich muss wissen, wer der Kerl ist. Was ihm den Garaus gemacht hat, sehe
Weitere Kostenlose Bücher