Vergib uns unsere Sünden - Thriller
unterlegen war, würde er Miller so lange aufhalten können, bis die Sicherheitsleute im Büro waren.
»Und woher?« Miller spielte auf Zeit, suchte fieberhaft nach einem Ausweg, irgendeinem. Auf dem Schreibtisch das Telefon. Die schwere Glaskaraffe, aus der Thorne den Armagnac serviert hatte. Es waren reichlich Gegenstände vorhanden, die sich für einen Angriff verwenden ließen, aber was dann? Er würde ihn niederschlagen, aus dem Gebäude flüchten. Dabei würde er gesehen werden. Er hätte sich eines tätlichen Angriffs und der Körperverletzung schuldig gemacht. Man würde ihm nachsetzen, und er konnte sich nicht verteidigen, weil er unbewaffnet war, und wenn Thorne ihm die Wahrheit erzählt hatte und Oliver wirklich an seiner Stelle ermordet worden war, dann würden diese Leute sich nicht davon abhalten lassen, dass er ein Detective der Washingtoner Polizei war.
»Woher?«, wiederholte Thorne. »Weil ich ihn ausgebildet habe, Detective Miller … Ich selber habe Robey und Sheridan und Carvalho ausgebildet, und noch Dutzende andere von der Sorte.«
»Und Sie heißen auch nicht Walter Thorne, oder?«
»Walter Thorne, Frank Rissick, Edward Perna, Lawrence Matthews … Ich war jeder und keiner von denen, Detective,
immer der, der gerade gebraucht wurde. Dass Sie auf den Namen Donald Carvalho in Verbindung mit United Trust gestoßen sind, ist nicht weiter wichtig. Wenn Sie wüssten, hinter wie vielen Namen und Fassaden wie vieler verschiedener Unternehmen und Organisationen wir uns vor der Welt verbergen!«
Miller lauschte, wachsam bis in die Haarspitzen, auf jedes Geräusch vom Flur her. Er war sich noch nicht einmal über seine Fluchtrichtung im Klaren - zur Tür hinaus? Oder durch den Garten und dann über die Mauer …
»Wenn Robey so viel Ärger gemacht hat …«
»Warum wir ihn dann nicht kurzerhand beseitigt haben?«, führte Thorne an seiner Stelle den Gedanken zu Ende. »Weil man mit den John Robeys und Catherine Sheridans dieser Welt nicht so schnell fertig wird wie mit einer Margaret Mosley, Ann Rayner oder Barbara Lee, meinetwegen auch dieser Natasha Joyce, Detective. Da gilt es noch allerlei Rücksichten zu nehmen.«
»Was hat er denn eigentlich getan? Hat er Beweise über all diese Dinge? Verfügt er über Material, das im Falle seines Todes an die Öffentlichkeit gelangen würde?«
»Er verfügt über Beweise, Detective, und wir hatten etwas gegen ihn in der Hand. Es war ein Gleichgewicht der Kräfte, ein Patt … und lange Zeit bewegte sich nichts.«
»Sie hatten etwas gegen ihn in der Hand? Was denn? Was hatten Sie gegen Robey in der Hand?«
»Nicht so sehr etwas als vielmehr jemanden .«
»Jemanden?«, fragte Miller, und dann nickte er. »Catherine Sheridan, richtig? Sie haben ihm mit der Ermordung von Catherine Sheridan gedroht, für den Fall, dass er …«
»Nein, Detective … So viel war John Robey nicht am Wohlergehen Catherine Sheridans gelegen, dass ihr Tod ihn hätte aufhalten können.«
»Wer dann? Wovon reden Sie?«
»Ich rede von …«
Die Tatsache, dass das Projektil bei seinem Eintritt durch die obere rechte Scheibe der linken Verandatür kein vernehmbares Geräusch verursachte, verlieh dem Moment etwas beängstigend Surreales.
Thorne sagte: Ich rede von - und dann sagte er nichts mehr.
Es kamen Worte aus seinem Mund, und dann kamen keine mehr.
Es schien, als stünde er noch eine ganze Weile so da, dabei waren es höchstens einige Sekunden, eher weniger, aber die dehnten sich zu einer Ewigkeit, und Miller wartete darauf, dass Thorne weitersprach …
Thorne bewegte sich ungelenk zur Seite, als hätte er einen plötzlichen Schock erlitten oder eine Hiobsbotschaft erhalten.
Jetzt erst bemerkte Miller das winzige Loch in der Fensterscheibe.
Im selben Moment begriff er, warum Richter Thorne sich krampfhaft am Bücherregal aufrecht zu halten versuchte und das Licht seiner Augen dunkel, matt und leer geworden war und die Laute aus seinem Mund keine gesprochenen Worte mehr waren, sondern ein ersticktes Zischen, als würde Dampf unter einem Kochtopfdeckel hervorschießen … und jetzt war auch das haarfeine Rinnsal Blut zu sehen, das sich aus dem rechten Augenwinkel einen Weg über die Wange suchte …
Für einen Augenblick schien Millers Herz stillzustehen, um dann in doppeltem Tempo weiterzuschlagen.
Walter Thorne ging in die Knie, und da er gleichzeitig nach links kippte, schlug sein Kopf genau auf die Ecke des schweren Mahagonischreibtisches. Er stürzte zu Boden
Weitere Kostenlose Bücher