Vergib uns unsere Sünden - Thriller
Zalman«, erwiderte der Alte. »Jetzt gehen Sie mal schön hinter und erklären es ihr. Ich kriege langsam Kopfschmerzen davon.«
Miller ging vorbei an den zwei, drei Tischen auf der rechten Seite des Ladens, der Handvoll Stühle, die dort für
Freunde aufgestellt waren, die montags und donnerstags zum Schachspielen vorbeikamen. Links war die Kühltheke mit dem Glasregal, auf dem Harriet Kartoffelpuffer, Matze-Brot und Gefilte Fisch auslegte …
Harriet und Zalman waren brave Leute. Ihre Arbeit verrichteten sie mit Ruhe und Bedacht, wie es 1956 üblich gewesen war, als sie das Geschäft an der Ecke Church Street übernommen hatten. Die Wohnung über dem Laden hatten sie damals selbst bewohnt. Bis beruflicher Erfolg es ihrem Sohn ermöglicht hatte, ihnen ein zweistöckiges Reihenhaus zu kaufen, in das sie vor elf Jahren eingezogen waren. Miller hatte die Wohnung gemietet, als er Detective geworden war, und seitdem war kaum ein Tag vergangen, an dem er die Shamirs nicht gesehen hatte. Harriet machte ihm Essen, zu viel Essen; manchmal, wenn sie der Meinung war, dass Miller zu wenig aß, ging sie einfach in seine Wohnung hinauf und füllte seinen Kühlschrank auf. Meistens schaute er abends und morgens kurz bei ihnen rein, um ein bisschen mit ihnen zu plaudern. Sie machte immer Frühstück für drei, später sogar für vier Personen, als Marie McArthur regelmäßig bei ihm übernachtete. Und an manchen Abenden, wenn der Laden noch geöffnet war, wenn er nach Hause kam, saßen sie hinten in der Küche beisammen, und sie fragte ihn nach seinem Leben aus, und den Dingen, die sie in der Zeitung gelesen hatte. Zalman redete wenig, saß im Hintergrund, schnitt Hähnchenbrüste oder Donuts in Scheiben, presste Orangen zu Saft oder was auch immer. Und Miller erzählte ihnen von sich, diesen seltsamen alten Juden, die eine Art Ersatzeltern für ihn waren - ein kleiner, kurzer Aufschub von der Dunkelheit seines Lebens außerhalb dieser Wände. Wenn Harriet ihn nach seinen Mordfällen ausfragte, funkelte die Faszination ihr aus den Augen, und Miller erzählte ihr mit einem Lächeln, was er erzählen durfte.
»Sie beschönigen Ihre Geschichten«, sagte sie dann und
drückte ihm beruhigend die Hand. »Zalman und ich, wir waren Kinder, als der Zweite Weltkrieg vorbei war. Wir haben gesehen, was Menschen einander antun können. Wir haben die Menschen gesehen, die aus den Lagern zurückgekommen sind.«
Trotzdem hielt Miller es nicht für richtig, ihr Leben mit allzu drastischen Einzelheiten seines Alltags zu belasten, und er tat es auch nicht. Er lächelte und nahm sie in die Arme, bevor er den Laden verließ und nach oben ging. Er solle sich ein neues Mädchen suchen, rief sie ihm nach - » aber diesmal eine richtig Nette, verstanden? « -, und dann hörte Miller noch, wie Zalman seine Frau ermahnte, ihre Nase nicht in alles zu stecken, was sie nur mit einem »Ach« quittierte, denn schließlich ging es sie ja was an.
An diesem Abend hörte Miller sie aus dem Hinterzimmer des Ladens nach ihm rufen.
»Hallo, Harriet«, antwortete er und legte ein Lächeln für sie auf.
»Ich kann es hören«, sagte sie. »Ich höre es bis hier, wie Sie über mich lachen.«
»Ich lache nicht über Sie.«
Harriet erschien in der Tür, die Haare unter einem Netz, die Hände in Handschuhen aus Mehl. Ein paar Zentimeter kleiner als ihr Ehemann, unter der Schürze einen Hausmantel, ein Geschirrtuch über der Schulter, sah sie aus, wie sie immer aussah - alt, ohne je älter zu werden. »Was sind das für neue Moden?«, sagte sie missbilligend. »Zwei Tage mach ich Frühstück, und wo bleiben Sie, bitte schön?«
»Ich musste früh aus dem Haus, entschuldigen Sie.«
»Besserung ist die beste Entschuldigung. Sie sehen mir nach Big Macs und Limo aus, stimmt’s oder hab ich recht?«
Miller zuckte die Achseln.
»Kommen Sie in die Küche. Damit Sie wenigstens einmal etwas Ordentliches essen.«
»Harriet - ich bin nicht hungrig.« Miller drehte sich zu Zalman um. »Zalman … Sie erklären’s ihr, okay?«
Zalman hob resignierend die Hände. »Ich sage nichts dazu. Auf meine Hilfe dürfen Sie nicht zählen, Robert.« Mit kurzem Schulterzucken verschwand er im Hinterzimmer, um den morgigen Tag vorzubereiten.
»Wenigstens einen Kaffee und ein Stück Honigkuchen, ja?«
»Ein kleines Stück - ein ganz kleines, okay?«
»Papperlapapp«, erwiderte Harriet und zog ihn am Arm zum Küchentisch.
»Sie haben also einen großen Fall, ja?«, fragte sie,
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