Vergib uns unsere Sünden - Thriller
Fleisch schnitten. Das Holz lebte. Leise und still, aber es lebte. Mein Vater bearbeitete das Holz, als wollte er ihm dabei helfen zu werden, was es immer schon werden wollte. Die Maserung war das Symbol für die Träume. Weißes Zedernholz träumte von Schindeln, Booten, Kanus und Schränken; Pappeln träumten in schwankenden Kreisen, von Verandapfosten oder Schaukelstühlen; der Hickorybaum war hart, ein unbarmherziges Holz mit Gedanken an Böden und Regale; Tupelo Gum, weich, mit Erinnerungen an Tage leuchtenden Laubs, inzwischen mit Gedanken an die geduldigen Hände alter Männer, die sich die Jahre mit Schnitzen vertreiben. Schwarze Walnuss von höchster Dichte, fast unlesbar. Ich meinte zu wissen, dass Walnuss von Gehstöcken und Särgen träumte.
»Deine Mutter wird nie wieder so wie früher sein«, sagte er. Ich konnte das Öl an seinen Händen riechen, den Lack, den Leim. Er lächelte. »Erklären kann ich es dir nicht«, fügte er hinzu, »weil ich es selber nicht verstehe.«
»Deine Mutter wird sterben«, fuhr er leise fort und legte seine Hand an meine Wange, und ich konnte das Holz, den Saft, den Lack, das Harz riechen, konnte die Maserung, die Dichte, den Baum selber spüren, ächzend unter dem Gewicht
seiner Früchte, die Blätter, mit jedem Tag, den er älter wurde, immer weiter der Sonne entgegenstreckend.
Glaubte, es zu können. Wollte glauben, dass ich es konnte.
Ein phantasievolles Kind.
Erst später - so viele Jahre später - verstand ich die Gefahren der Phantasie, aber da war es schon zu spät.
»Sie wird uns verlassen«, flüsterte er, und dann schloss er für einen Moment die Augen und holte tief Luft. »Und dann gibt es nur noch dich und mich, mein Kleiner … nur noch dich und mich.«
Es erscheint mir ironisch, absolut ironisch.
Ich habe in den vergangenen Tagen die Nachrichten verfolgt. Direkt hier in Washington, einen Katzensprung vom Weißen Haus, und nachdem die Ergebnisse der Zwischenwahlen jetzt feststehen, weiß ich, in welche Richtung die Geschichte läuft.
Catherine ist tot, und ich weiß, was sie gesagt, was sie gedacht hätte.
»Das ist mein Leben gewesen. Das einzige, an das ich mich erinnern kann.«
Sie hätte mich direkt angeschaut, durch mich hindurch, wie nur Catherine Sheridan es konnte, und gesagt: »Wie diese Geschichte aufgezogen ist - die Welt, verstehst du? So, wie die Welt aufgezogen ist - die Medien, die Propaganda, die kollektive Mentalität, die sie mit Fernsehen und Kino und Werbung und dem ganzen Mist erzeugen … Sie wollen dich glauben machen, dass du nichts bist. Mir ist noch kein erwachsener Mensch begegnet, der an das Glück geglaubt hat. Glück ist etwas für Kinder. Wenn dir vor der achten Klasse oft genug in den Arsch getreten worden ist, dann fragst du dich schon, was das Ganze für einen Sinn hat. Ich habe alles gesehen. Ich habe Dinge gesehen, die ich keinem menschlichen Wesen wünsche. Es ist die wunderbare Geschichte entsetzlichster Dinge, so amerikanisch wie Napalm.«
Oder auch nicht.
Vielleicht hätte sie einfach nur adieu gesagt.
Vielleicht auch nicht adieu, weil adieu zu endgültig ist, und Catherine glaubte an die Wiederkehr aller Dinge.
Vielleicht »Au revoir …«.
Ach, Scheiße! Ich bin verbittert und müde. Ich habe zu lange nur das Schlimmste gesehen und gehört, und das hat mein Urteil gefärbt. Vielleicht ist alles nicht so schlimm. Vielleicht haben wir all das, was ich gesehen habe, gar nicht getan. Vielleicht habe ich mich getäuscht. Mein Blick war getrübt. Ich habe etwas gesehen und es für etwas anderes gehalten. So ist es gewesen.
Bis auf eine Sache, die alles in Rollen brachte. Als Catherine Sheridan und ich meinten, etwas ändern zu können.
Und wir haben es auch gemacht. Jetzt haben wir es gemacht. Und zum Umkehren ist es jetzt zu spät.
Und während die Welt tut, was sie tut, während die Amerikaner sich fragen, ob sich die Situation ändern wird, nachdem die Republikaner ihren Würgegriff auf den Kongress lockern mussten, gehe ich an die Arbeit, tue meinen Job und warte darauf, dass die Polizei an meine Tür klopft und die Worte sagt, auf die ich schon lange warte.
Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich erwartungsvoll den Atem anhalte.
10
Roth kam Miller zuvor, als sie im Auto saßen, und sagte: »Was denkst du?«
»Was ich denke?«, fragte Miller mit bedeutungsvollem Unterton. »Ich bilde mir nicht ein, ein klareres Bild von der Sache zu haben als vorgestern.«
Ȇber die Tatsache, dass diese
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