Vergib uns unsere Sünden - Thriller
»Richard hat die Artikel der beiden redigiert, bevor sie in den Satz gingen. Was der für Geschichten erzählen kann, unglaublich.«
Miller dankte ihr noch mal, und die beiden schickten sich an zu gehen, als Carly fragte: »Die Person, die getötet worden ist? Hatte die irgendetwas mit der Zeitung zu tun?«
Miller lächelte beruhigend. »Sie glauben nicht, wie wenig sie mit Ihrer Zeitung zu tun hatte«, sagte er und meinte das Steinchen zu hören, das ihr vom Herzen kullerte. Womöglich würde sie nun doch kein zweites Mal an die Geschichte denken. Vielleicht verdiente sie es sogar, kein zweites Mal
an solch eine Geschichte denken zu müssen. Manche Menschen suchten sich ein solches Leben aus. Manche Menschen sollten mit solchen Dingen gar nicht in Berührung kommen.
Draußen, es war jetzt kurz vor acht, standen Roth und Miller schweigend vor dem Eingang, ihr Atem als kleine Wolke sichtbar, der Himmel klar.
»Nimm du den Wagen«, sagte Miller. »Ich hab nur ein paar Blocks. Und grüß Amanda von mir, okay?«
»Mach ich … Also, bis morgen.«
Robert Miller stand noch eine Weile da, die Hände in den Manteltaschen vergraben. Er atmete aus und sah seinen Atem verfliegen. Es war Winter geworden. Wie hieß es in Keener’s Jahrbuch? »Minuten schlendern, Stunden rennen, Jahre fliegen, Jahrzehnte stumpfen ab. Der Frühling verführt, der Sommer erregt, der Herbst sättigt, der Winter tötet.«
Er ging los, versuchte, an nichts zu denken als an das Geräusch seiner Schritte auf dem Trottoir. Er ging über die Hintertreppe in seine Wohnung hinauf. Er drehte die Heizung an, streifte die Schuhe ab, stand vor dem offenen Vorhang am Fenster und blickte hinaus auf die Lichter der Kreuzung Corcoran Street, New Hampshire Avenue. Das ist mein Leben , dachte er, die Welt, wie ich sie mir eingerichtet habe. Aber ist es wirklich das, was ich wollte?
Er erinnerte sich, wie er als Kind auf der Treppe gestanden und eine Unterhaltung seiner Eltern mitgehört hatte.
»Er wird mal ein einsamer Mensch sein«, hatte sein Vater gesagt. »Er tut sich schwer, Freundschaften zu schließen. Das gefällt mir nicht.«
»Er will seine Unabhängigkeit, das ist alles«, hatte seine Mutter geantwortet.
»Das ist keine Unabhängigkeit, das ist Mangel an sozialer Bindung. Er sollte einem Club beitreten, damit er unter Kinder kommt.«
»Er ist glücklich mit sich allein.«
»Glücklich? Was zum Teufel soll das werden, wenn er groß ist? Der Junge ist nicht glücklich. Herrgott, sieh ihn dir doch an. Der muss sich den Mund mit den Fingern breitziehen, wenn er lächeln will.«
»Lass ihn sein, das wird schon. Dann ist er eben nicht kontaktfreudig. Er ist klüger als die meisten Kinder, hast du daran mal gedacht?«
Offenbar nicht, denn Ed Miller tadelte seinen Sohn bis zum Tag seines Todes.
Du gehst so selten aus? Was ist mit dir los? Du hast keine Partnerin für den Schulball? Herrgott, Bobby, was ist denn bloß los mit dir? Du magst die Menschen nicht, ist es das?
Mit vierundzwanzig Jahren war Miller zum Washingtoner Police Department gekommen. Manchmal fragte er sich, ob diese Entscheidung zu dem Herzanfall beigetragen hatte, an dem sein Vater letztlich verstorben war.
Was zum Teufel hast du bei der Polizei verloren? Was ist denn bloß in dich gefahren?
Ein weiteres Wort wurde darüber nicht gesprochen. Ed Miller tat so, als wäre sein Sohn jemand völlig anderer. Aber er hielt diese Haltung nicht durch. Robert war dabei, als sein Vater zusammenbrach. Er tat, was er bei der Polizei gelernt hatte - Mund-zu-Mund-Beatmung, Herz-Lungen-Massage - aber der Infarkt war stärker als der Mann und raffte ihn dahin.
Millers Mutter lebte noch ein paar Jahre, sah ihn die Prüfung machen, erlebte seinen rapiden Aufstieg im Department, sah ihn ernst und stark werden und zu viel Zeit mit Büchern statt mit Mädchen und Freunden und sozialen Kontakten verbringen. Sie übernahm jetzt Eds Rolle, machte sich Sorgen, aber ändern konnte sie nichts. Ihr Sohn blieb sich selbst treu. Wurde ein exzellenter Cop. Sie hätte noch eine Weile länger durchhalten müssen, um seine Beförderung zum
- bis auf den heutigen Tag - jüngsten Detective in der Geschichte der Stadt Washington mitzuerleben, mit stolzem Lächeln, leisen Tränen und dem Wunsch, Ed noch an ihrer Seite zu haben, damit er sah, was sein Sohn aus sich gemacht hatte. Aber es war anders gekommen. Beide waren nicht mehr am Leben, als Robert Miller auf dem Podium stand, dem Washingtoner Polizeichef
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