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Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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federleichtem Druck zufassen konnten, der Körper unter der Decke wie das Gestell einer Vogelscheuche. Nichts für sie. Wie von innen zerfressen, so kam sie mir vor, und das nun schon so lange, wie ich zurückdenken konnte. Eine solche Mutter wollte ich nicht. Das war jemand - etwas - Fremdes, und ich betrachtete sie schweigend, wagte kaum zu atmen, um sie nicht aufzuwecken, damit sie nicht anfing zu schreien oder die verrückten Sachen zu sagen, die ich schon zu oft gehört hatte, um sie noch ertragen zu können …
    Ich wusste nicht, was mein Vater vorhatte, aber Big Joe hatte für jedes Problem eine Lösung.
    »Sohn«, sagte er, »deine Mom hat eine Krankheit. Eine Krankheit, für die es keine Heilung gibt.«
    Ich war atemlos, mir war schwindelig, Tränen drückten gegen die Lider. Ich wollte nicht weinen. Ich wollte nie wieder weinen.
    »Es ist keine Schande zu weinen«, sagte Big Joe, streckte die Hand aus und legte sie mir an die Wange. »Weine ruhig, wenn dir danach ist.«

    »Und es hilft?«, fragte ich.
    Er lächelte, schüttelte den Kopf. »Manche Leute glauben das.«
    »Und du? Was glaubst du?«
    »Ich wüsste nicht, wie.«
    »Dann lass ich es bleiben.«
    Es entstand ein längeres Schweigen; ich schloss die Augen und fragte: »Wie lange noch?«
    »Bis sie geht? Ich weiß es nicht, Sohn. Ich weiß es einfach nicht.«
    »Weiß es jemand?«
    Er antwortete nicht.
    »Und was könnten wir tun?«
    »Tun? Ich weiß nicht, was wir tun könnten außer warten.«
    »Dann tun wir eben das«, sagte ich. »Wir warten.«
     
    Das sind Erinnerungen aus einem anderen Zeitalter, aber heute ist Montagabend, der 13. November, und Catherine ist nicht mehr da. Wie meine Mutter, und darin liegt - mehr als irgendwo sonst - die wahre Ironie.
    Der Unterricht ist zu Ende. Ich packe die Bücher in meine Tasche und klopfe mir die Kreide von den Ärmeln.
    Ich drehe mich um. Quer über die Wandtafel habe ich ein sehr berühmtes Zitat geschrieben.
    »Ungerechtigkeit, egal wo, ist eine Bedrohung für die Gerechtigkeit überall.«
    Ich glaube, wir haben den Mann getötet, der das gesagt hat.
    Was habe ich ihnen heute beigebracht? Was habe ich ihnen im Eiltempo in die manipulierbaren Köpfe gefüttert? Die Ethik der Literatur. Die Verantwortung des Autors, seinem Leser das Thema mit der größtmöglichen Ehrlichkeit, Integrität und Exaktheit zu präsentieren.

    »Und aus wessen Perspektive?«, hatte einer der Studenten gefragt. »Zweifellos ist Wahrheit relativ. Zweifellos wird sie von verschiedenen Personen sehr unterschiedlich wahrgenommen.«
    »Ja«, sagte ich, »Wahrheit ist relativ. Wahrheit ist persönlich, sie ist individuell.«
    »Wo sollen wir also die Linie ziehen?«, fragte der Student. »Wo wird die individuelle Wahrnehmung dessen, was einer für Wahrheit hält, zur Lüge?«
    Ich lache, setze mein bestes Jack-Nicholson-Gesicht auf und sage: »Wahrheit? Sie wollen Wahrheit? Mit der Wahrheit werden Sie doch gar nicht fertig …«
    Es klingelt. Ende des Unterrichts. Beim Hinausgehen sieht der Schüler mich an, und ich erkenne Misstrauen und Vorwurf in seinem Blick. Seine Frage ist nicht beantwortet worden.
    Und ich denke: Ich war wie du. Vor langer Zeit war ich wie du.
    Irgendwann sahen wir die Linie, die die Wahrheit von der Lüge trennt. Wir haben sie so oft überschritten, so oft, dass sie undeutlich und schwach wurde und schließlich nicht mehr zu sehen war.
    Vielleicht waren die schlimmsten Lügen die, die in bester Absicht erzählt wurden.
    Vielleicht waren die schlimmsten Lügen die, die wir uns selbst erzählt haben.

11
    Dienstagmorgen, ein Himmel wie eine schmutzige Mullbinde spielt mit dem Gedanken an Regen. Natasha Joyce war aus der Schule nach Hause zurückgekehrt und saß auf der untersten Treppenstufe, den Telefonhörer ans Ohr gepresst,
das Gesicht abwesend, fast leer. Man hielt sie seit Minuten in der Warteschleife, geduldig ließ sie sich mit Fahrstuhlmusik aus der Stadtverwaltung berieseln. Weißer Musik. Chloe würde erst in ein paar Stunden nach Hause kommen. Die Wohnung war aufgeräumt, sie war allein. Der ältere der beiden Detectives ging ihr nicht mehr aus dem Sinn. Er sah dem Mann so ähnlich, den die Sheridan, die Frau, die gar nicht Sheridan hieß, damals mitgebracht hatte. Es war keine physische Ähnlichkeit, irgendetwas anderes. Vielleicht war der von damals auch ein Cop gewesen …
    »Ma’am?«
    »Ja, ich bin noch dran«, sagte Natasha.
    »Tut mir leid. Ma’am, anscheinend haben wir Probleme mit

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