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Vergib uns unsere Sünden - Thriller

Titel: Vergib uns unsere Sünden - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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stehe vor Studenten, seit einer Weile herrscht Schweigen. Wahrscheinlich denken sie, dass ich den Faden verloren habe. Vielleicht ist es ihnen auch egal. Woher sollen sie wissen, dass mir gerade ein Gespräch über Balance in den Sinn gekommen ist, ein Gespräch, das inzwischen in ein anderes Leben zu gehören scheint.
    »Sie sind in Balance«, sagte er, als sei das etwas ganz Außergewöhnliches, Wunderbares. Etwas Beschützens- und Bewahrenswertes.

    Er, das war Dennis Powers. Er hatte ein breites, hohlwangiges Gesicht wie eine Karikatur, sein Lächeln zeigte zu viele Zähne. Er war Ausbildungsleiter, und obwohl er gute zehn Zentimeter größer war als ich, hatte er etwas Kompaktes, Festes, Drahtiges. Etwas an Dennis machte mir Angst, gab mir das Gefühl, bei ihm tendenziell mit Unerfreulichem rechnen zu müssen.
    »Er ist ein guter Mann«, hatte Catherine tags zuvor zu mir gesagt. Sie hatte wieder diese Mütze getragen, die türkisfarbene Baskenmütze, und war irgendwohin unterwegs gewesen, Bücher unter dem Arm; es hätte ebenso gut eine Szene von einem East Coast Campus sein können. Eigentlich waren wir ja auch Studenten, aber unsere Fächer standen bei keiner Eliteuniversität auf dem Lehrplan. Geopolitik und Weltangelegenheiten; Krieg gegen die kommunistische Infiltration; Subversion, Militärschläge, Attentate …
    Es war im April 1981, etwa drei Monate vor meinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, und ich war bereits ein Glaubender. Ob man es nun Indoktrination, Gehirnwäsche, Propaganda oder wie auch immer nannte, es war subtil, und es funktionierte. Als Catherine und ich uns richtig kennenlernten, steckten wir bereits bis zum Hals drin. Als sie uns ins Feld schickten, waren wir assoziiert und registriert, eingestellt, verpflichtet, geprüft und versiegelt und gestempelt. Im Juli desselben Jahres, schon als wir gemeinsam das Flugzeug bestiegen, war uns die Überzeugung, das Richtige zu tun, in Fleisch und Blut übergegangen.
    »Man muss es in sich tragen«, sagte viel später jemand zu mir, »eine Art grundsätzliches Einverständnis mit dem ganzen verrückten abgefuckten Scheißdreck, den die da unten veranstalten, um sich überhaupt darauf einlassen zu können. Die Hirten, die Dozenten, die Ausbilder … Sie alle haben den Blick dafür, sie sehen es dir an, als hättest du es in großen Leuchtbuchstaben auf der Stirn stehen.«

    Später begriff ich das, aber was genau sie mir angesehen haben, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht die fundamentale Unzufriedenheit mit der Art und Weise, wie ich ins Leben geworfen worden war. Vielleicht der Tod meiner Eltern - vielmehr die Umstände ihres Todes und meine indirekte Verwicklung darin. Vielleicht auch die Tatsache, dass ich verstand, was mein Vater getan hatte, so verrückt es gewesen sein mag, aber gleichzeitig verstand ich, warum er es getan hatte. Vielleicht war es das, was sie mir angesehen haben, denn als Dennis Powers mich an diesem Sonntag zum ersten Mal sah, schaute er mir in die Augen und sagte mir auf den Kopf zu, ich sei im Gleichgewicht.
    »Man muss im Gleichgewicht sein«, sagte er und lächelte, und ich schätzte ihn auf fünfundvierzig oder fünfzig Jahre, und erst später verriet er mir, wie jung er war, als er 1967 nach Vietnam ging …
    »Ich war gerade mal zwanzig, jünger als Sie jetzt.«
    Dennis Powers war Jahrgang 1947. Als ich ihn im April 1981 kennenlernte, war er vierunddreißig Jahre alt. Die Tatsache, dass er so viel älter aussah, war mir unheimlich. Als wären ihm drei oder vier Leben Portion für Portion unter die Haut gestopft worden.
    »Ich könnte Ihnen einiges erzählen, was ich gesehen habe, aber ich lasse es lieber«, sagte er. »Sie wollen das gar nicht hören, glauben Sie mir.«
    Ich schaute hoch, runzelte die Stirn.
    Dennis lächelte. »Gleich sagen Sie mir, dass Sie gerne ein paar Geschichten hören wollen, stimmt’s? Dass Sie von den schrecklichen Dingen hören wollen, die ich erlebt habe, um das alles richtig einordnen zu können. Das wollen Sie mir doch sagen, oder?«
    Er gab mir keine Zeit für eine Antwort.
    »Den Dreck erspare ich Ihnen«, sagte er, »aber etwas will ich Ihnen erzählen. Was ich da draußen gesehen habe …« Er
deutete in Richtung des hohen Zauns um das Gelände von Langley, als gehörte alles, was dahinterlag, zu einer fremden, entlegenen Welt. »Da draußen herrscht der blanke Wahnsinn«, sagte er leise. Jetzt gab er universelle, von Generation zu Generation weitergereichte Wahrheiten zum Besten.

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